„Gaudete!“, so heißt der 3. Adventssonntag. Freuen wollen wir uns schon jetzt auf die Ankunft Christi auf Erden, freuen sollen Sie sich aber auch auf das offene Singen am kommenden 4. Adventssonntag um 17 Uhr in der Handruper Klosterkirche. Seit einigen Wochen probt der Projektchor unter der Leitung von Herrn Hüer vier englischsprachige Weihnachtslieder ein und eines davon ist von ganz besonderer Art: das „Christmas-Lullaby“ von John Rutter, der sich – obwohl erst 1945 geboren – der traditionellen Komposition verpflichtet fühlt; so auch in diesem „Weihnachts-Wiegenlied“.
Wiegen- und Einschlaflieder hat es immer schon gegeben und kennt wohl jedes Volk; mancher denkt vielleicht an das berühmte, „einlullende“ „La-le-lu“ von Heinz Rühmann in „Wenn der Vater mit dem Sohne“ von 1955; aber die Weihnachts-Wiegenlieder sind eine ganz besondere Spezies.
Aus dem Spätmittelalter stammt jenes „Dormi, Iesu, mater ridet, quae tam dulcem somnum videt, dormi, Iesu blandule! Si non dormis, mater plorat, inter fila cantans orat: Blande, veni, somnule!“
„Schlaf nun, Jesus! Mutter lächelt, als sie in den Schlaf dich fächelt, schlafe, Jesus, lieblich ein! Schläfst du nicht, dann singt und klagt sie, dreht das Spinnrad, bittend fragt sie: Schlummer, tritt behutsam ein!“ (dt. Übersetzung nach Bertram Kottmann, © 2011)
Damals wurden die Wiegenlieder in der Kirche an der Krippe gesungen. Die Weihnachtswiegenlieder verdanken ihre außerordentliche Beliebtheit nicht zuletzt dem Brauch, der von Frauenklöstern ausging: dem Kindleinwiegen. In einer kleinen Wiege lag ein schön herausgeputztes Christkind, zumeist aus Wachs, das von Mitgliedern der Gemeinde unter Absingen bestimmter Lieder gewiegt werden durfte. Dieser Brauch war über ganz Deutsachland verbreitet und oft mit spielerischen Darstellungen verbunden. Entweder sang Maria das Wiegenlied allein oder – wenn in Dialogform abgefasst – zusammen mit Josef. Texte vom wiegenden Josef gehörten zu den populärsten überhaupt. Sie haben sich mit z. T. drolligen Dialogerweiterungen später ihren Platz in zahlreichen Krippenspielen erhalten; man denke dabei an das schlesische „Auf dem Berge, da wehet der Wind“, in dem Maria ihren Josef bittet: „Josef, lieber Josef mein, ach hilf mir wiegen mein Kindelein.“ Und Josef – die Melodie wechselt in die düstere Moll-Paralleltonart – antwortet: „Wie kann ich dir denn das Kindlein wiegen? Ich kann ja kaum selber die Finger biegen. Schum schei.“ Auch der Eja- und Susani – Refrain anderer Lieder kennzeichnet die Handlung des Wiegens, die Teil des Gottesdienstes war. Vielleicht verraten die Wiegenlieder auch etwas vom damaligen fröhlich-festlichen Geist der Weihnachtszeit, ehe nach der Aufklärung religiöse Strenge und bürgerliche Familienbetulichkeit die innerliche Freude des Festes einschränkten.
John Rutter hat sein „Christmas Lullaby“ 1990 getextet und vertont, es ist ein international sehr bekannt gewordenes und äußerst interessantes Wiegenlied. Nicht Maria, sondern die Engel singen und summen hier das Christkind in den Schlaf. Sehr ruhig und leise beginnt das Stück, melodisch und innig singen die Frauen: „Clear in the darkness a light shines in Bethlehem: Angels are singing, their sound fills the air.“ Dann übernehmen Tenöre und Bässe, auch sie zunächst verhaltend, die Melodie: „Wise men have journeyed to greet their Messiah; but only a mother and baby lie there“, bis Männer und Frauen gemeinsam sanft einstimmen in das ‚Ave Maria, ave Maria’: Hear the soft lullaby the angel hosts sing.“ An dieser Stelle, im 2. Takt, ist es der Bass, der sich in seinem Beharren auf dem tiefen „f“ scheinbar gegen die Melodie stemmt und eine leichte, aber durchaus hörbare Sekunden-Reibung provoziert, die den wunderbaren Reiz des Stückes ausmacht, bis sich im 3. und 4. ‚Ave Maria’ die Stimmen mit einem gewissen Crescendo harmonisch vereinen, um am Ende wieder leise auszuklingen.
Ob der Chor der Engel unter den gegebenen Umständen das Jesuskind mit dem „Lullaby“ sanft in den Schaf zu „lullen“ vermag, bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall wird man schon am 4. Adventssonntag in der Handruper Klosterkirche das Jesulein in der Krippe, mit Maria und Josef, mit Hirten und Engeln, mit Ochs und Esel bewundern dürfen: Letzteren mochten die frommen Zisterziensermönche aus der „Abbaye de la Bussière“ im mittelalterlichen Burgund aus ihrer Kirche verbannen; der war ihnen wohl doch zu tumb und gewöhnlich und sie tauschten den Esel – wie man sehen kann – ein gegen das viel edlere Pferd.