„Berlin war eine Reise wert!“

04. Februar 2013 | Homepage-Team | Kategorien: Aktuelles

126 Schülerinnen und Schüler des Gymnasium Leoninum Handrup erkundeten vom 25. bis zum 29. Januar das historische und politische Berlin.

Die 10. Klassen des Gymnasiums Leoninum im Jüdischen Museum Berlin (foto: Dieter Vinke)
Die 10. Klassen des Gymnasiums Leoninum im Jüdischen Museum Berlin (foto: Dieter Vinke)

„Wer weiß, warum Deutschland 40 Jahre lang durch eine Mauer in zwei Staaten und Berlin in zwei Stadthälften geteilt war? Kennt jemand die Namen Walter Ulbricht oder Erich Honecker? Wer hat schon einmal den historischen Reichstag von innen gesehen und die berühmte Glaskuppel bestiegen? Was bedeutet die Bezeichnung „Checkpoint Charlie“? Wie sehen Angela Merkels Sessel und das Rednerpult im Bundestag aus der Nähe aus?“ – Stille im Klassenraum.
In vielen Klassen 10 nahezu aller Schulformen bleiben da heute die Finger unten… Leider können solche Fragen von vielen 15-16jährigen Jugendlichen nicht mehr spontan beantwortet werden. Die Geschichte des deutschen Parlamentarismus, die Genese unserer Demokratie und das Schicksal beider deutscher Staaten nach 1945 rückt immer mehr aus dem Blickfeld der Schüler. Auf Initiative des Fachbereichs Geschichte / Politik-Wirtschaft und mit breiter Unterstützung der Handruper Schulleitung, des Kollegiums sowie der Elternschaft des Leoninum startete das Gymnasium Anfang des Jahres 2013 ein interessantes Pilotprojekt. Nach einjähriger Planung und Vorarbeit, nach vielen Gesprächen mit beteiligten Institutionen wie der DJO – Deutsche Jugend in Europa – in Kooperation mit der Bundeswehr und anderen, konnte ein Unternehmen auf die Beine gestellt werden, das es sich zum Ziel gesetzt hatte, den Schülerinnen und Schülern des gesamten Jahrgangs 10 Geschichts- und Politikunterricht direkt vor Ort in Berlin zu ermöglichen. Unter Begleitung von neun Handruper Kolleginnen und Kollegen aus dem Fachbereich Geschichte starteten somit 126 Schülerinnen und Schüler in vier kostenlos von der Bundeswehr bereitgestellten Bussen zu ihrer vom 25.-29. Januar 2013 dauernden Expedition in die Bundeshauptstadt.

Am Anreisetag stand gleich der Besuch des Deutschen Bundestages, die Besichtigung des historischen Reichstags, des Plenarsaals des Deutschen Bundestages und die Besteigung der weithin sichtbaren Glaskuppel des eindrucksvollen Gebäudes auf dem Programm. Ein Mitarbeiter des – besonders in unserer emsländischen Heimat bekannten – parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Hermann Kues (CDU) gewährte durch seinen Vortrag Einblicke in die Arbeit und die Aufgaben eines Bundestagsabgeordneten.  Zusätzlich belohnt wurden die zuvor gehörten Vorträge über die Entwicklung des Parlamentarismus in Deutschland, die Geschichte des Reichstages und die Arbeit eines Bundestagsabgeordneten mit einem imposanten Blick auf das in ein abendliches Lichtermeer getauchte Berlin.

Der Schüler Finn Dinnus neben einem Original-DDR-Grenzpfahl am Checkpoint Charlie (foto: Dieter Vinke)
Der Schüler Finn Dinnus neben einem Original-DDR-Grenzpfahl am Checkpoint Charlie (foto: Dieter Vinke)

Schüler am „Checkpoint Charlie“

Am zweiten Tag stand zunächst der Besuch des Jüdischen Museums auf dem Programm. In mehreren Gruppen erkundeten die Schüler die Geschichte der blühenden und vielfältigen jüdischen Kultur in Deutschland und Europa von der Antike über das Mittelalter bis in die Gegenwart. Im Zentrum standen natürlich insbesondere auch die Auseinandersetzung der jüdischen Bevölkerung mit dem aufkommenden Nationalsozialismus im 20. Jahrhundert, die sich immer weiter verschlechternden Lebensbedingungen der Juden in den 1930er Jahren bis hin zu den Stationen auf dem Weg in die Schrecken des Holocaust. Als thematische Vorbereitung auf den Nachmittag wurde ein Spaziergang zum historischen Grenzübergang „Checkpoint Charlie“, der ehemaligen Schnittstelle zwischen amerikanischem und sowjetischem Sektor im Zentrum Berlins, unternommen. Anschließend sollte das Thema „Politische Verfolgung in der DDR“ behandelt werden. Dazu wurden aber nicht die Geschichtsbücher aufgeschlagen, sondern die ganze Gruppe machte sich auf, um die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, das ehemals vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR betriebene Gefängnis für politische Regimegegner und – wie es damals hieß – potentielle „Republikflüchtlinge“, zu besuchen. Ehemals Inhaftierte führten die Schüler durch die als „U-Boot“ gefürchteten Gefängniszellen und berichteten als Zeitzeugen anschaulich über Bespitzelung, Verhaftung, unmenschliche Verhörmethoden und Folter im Namen der damaligen DDR-Diktatur, so dass die Jugendlichen einen nachhaltigen Eindruck vom Unrechtscharakter des Regimes erhielten.

Stadtrundfahrt am Sonntag

Der Sonntag begann mit einer ausführlichen Stadtrundfahrt mit dem Thema „Das wiedervereinte Berlin – Hauptstadt im Wandel der Zeit“. Höhepunkte waren die Informationen zur propagandistischen Bedeutung des Olympiastadions zur Zeit des Nationalsozialismus und der olympischen Spiele von 1936 sowie die Erkundung des Regierungsviertels, des ehemaligen Ost-Berlin und der Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße. Hier hatten die Schüler Gelegenheit, die Reste der ehemaligen Berliner Mauer, den Mauerverlauf und das Schicksal einzelner Grenztoter seit 1961 kennenzulernen. Ergänzt wurde das Tagesprogramm mit einem Besuch des Stelenfeldes, dem Mahnmal für die ermordeten europäischen Juden, sowie einer Führung durch die Dauerausstellung „Topographie des Terrors – Gestapo, SS und Reichssicherheitshauptamt“, die unter anderem auch eine Besichtigung des Geländes der ehemaligen Machtzentrale des Dritten Reiches in der Wilhelm- und Prinz-Albrecht-Straße einschloss.

 

Besichtigung der Gedenkstätte Berliner Mauer (foto: Dieter Vinke)
Besichtigung der Gedenkstätte Berliner Mauer (foto: Dieter Vinke)

Am vorletzten Tag der Seminarfahrt sollte die aktuelle außen- und sicherheitspolitische Situation Deutschlands ins Blickfeld der Schüler gerückt werden. Zu diesem Zweck hatten das Auswärtige Amt und das Bundesministerium der Verteidigung die Türen für die gesamte Besuchergruppe geöffnet. Durch Vorträge und Diskussionen mit den Schülern wurden die derzeitige Außenpolitik der bundesdeutschen Regierung sowie die Arbeit des Verteidigungsministeriums im Blickwinkel nationaler und internationaler Sicherheitspolitik erörtert. Hier gab es erneut die Möglichkeit, hinter die Kulissen der oftmals abstrakt wirkenden Arbeit wichtiger politischer Entscheidungsträger zu schauen. Bevor dann am Dienstag die Rückreise angetreten wurde, erwartete die interessierte Reisegruppe ein Empfang im Willy-Brandt-Haus, der Parteizentrale der SPD. Dort sollte neben einer Führung durch das Gebäude insbesondere die Bedeutung von Parteien am Beispiel der Hauptaufgaben des Bundesvorstandes der SPD vermittelt werden. In lebhaften Diskussionsrunden wurde den Schülern – gerade vor dem Hintergrund zunehmender Politikverdrossenheit Jugendlicher – die Wichtigkeit politischen Engagements im Rahmen demokratischer politischer Parteien verdeutlicht. Dank besonders guter Kontakte konnte einem Teil der Schülergruppe als spezielle Besonderheit sogar eine Führung durch das nach der Vereinigung Deutschlands wiedererstandene traditionsreiche Hotel Adlon ermöglicht werden. Neben der offiziellen Thematisierung wichtiger historischer und politischer Meilensteine innerhalb der deutschen Geschichte diente dieser Besuch dazu, die Jugendlichen das Lebensgefühl und die kulturelle Vielfalt des pulsierenden Lebens im Berlin der 1920er Jahre nachempfinden zu lassen. Insgesamt waren sich alle Beteiligten einig, dass die rundum gelungene Fahrt die Möglichkeit bot, Geschichts- und Politikunterricht jenseits des Klassenraums, gleichsam „zum Anfassen“ erleben zu dürfen. Den Jugendlichen wurde facettenreich die Gelegenheit geboten, eine eigene Sichtweise auf die deutsche Geschichte und die gegenwärtige Politik zu entwickeln, persönliche Standpunkte zu überprüfen und – nicht zuletzt – eigene Wissenslücken um die deutsch-deutsche Vergangenheit zu schließen.

Besichtigung des Holocaust-Mahnmals (foto: Dieter Vinke)
Besichtigung des Holocaust-Mahnmals (foto: Dieter Vinke)

Jährliche Berlinfahrt für die gesamte 10. Jahrgangsstufe

Aufgrund der interessanten und das Schulleben bereichernden Erfahrungen während dieser Seminarfahrt, die mit so vielen Beteiligten eine intensive Vorbereitung, aber auch Interesse, Disziplin und Kondition erforderte, hat sich das Leoninum Handrup das Ziel gesetzt, die Berlinfahrt als einen wichtigen Baustein in das Schulprofil des Gymnasiums aufzunehmen und somit jährlich mit dem jeweiligen kompletten Jahrgang 10 ein solches Unternehmen zu organisieren und durchzuführen. (Dieter Vinke)

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