1. Die Entstehung der Privatschule des Missionshauses Handrup

Handrup war um 1900 ein kleiner, unbedeutender, landwirtschaftlich geprägter Ort im südlichen Emsland mit 800 Einwohnern, der noch nicht einmal über eine eigene Kirche verfügte. Auch die Verkehrsanbindungen waren miserabel, denn das Dorf lag fernab der Eisenbanhnstrecken Rheine – Lingen – Leer und Rheine – Fürstenau – Quakenbrück. Lediglich eine Kleinbahn, der sogenannte „Pingelanton“, die zwischen Lingen und Quakenbrück verkehrte, verband Handrup mit der „großen weiten Welt“. Warum wurde also gerade in dieser Gegend ein Kloster bzw. eine Schule gegründet?

1.1. Die Vorgeschichte

Die Herz-Jesu-Priester hatten 1883 im südholländischen Ort Sittard eine Missionsschule errichtet, die der Heranbildung des Ordensnachwuchses diente. Diese Schule wurde bald Anziehungspunkt für viele deutsche Interessenten, so dass sie 1897 in eine Missionsschule umgewandelt wurde, die nur für deutsche Schüler bestimmt war und enorme finanzielle Zuwendung aus Deutschland erhielt. Im deutschen Kaiserreich verboten bis zum 1.Weltkrieg die Kultur-Kampf-Gesetze vielen Orden die Ansiedlung bzw. Ausübung ihrer Tätigkeit. Lediglich Krankenpflegeorden waren davon ausgenommen. Aber bereits in den Jahren vor 1914 hatte sich eine Lockerung dieser Gesetze ergeben, so dass es den Herz-Jesu-Priestern möglich war, 1912 in Krefeld das erste Kloster auf deutschem Boden zu errichten. Schon damals gab es erste Bestrebungen, auch eine Missionsschule in Deutschland bauen zu lassen. Diese Bestrebungen wurden nach 1918 intensiviert, indem der Orden in verschiedenen Diözesen nachfragte, ob dort ein Interesse an seiner Niederlassung bestehe. In vielen Fällen lehnten die Bischöfe unter Hinweis auf existierende Klöster anderer Orden das Ansinnen des Ordens ab, weil man deren Existenz nicht gefährden wollte.

Infolge der Inflation nach dem ersten Weltkrieg wurden die Jahre nach 1918 in Sittard bitter, weil das Haus vollkommen auf das wertlose Geld aus Deutschland angewiesen war. So stellte sich die Frage, wie man über 100 Jungen mit Essen versorgen sollte. Dadurch wurden die früheren Bemühungen zwecks Gründung einer Missionsschule in Deutschland verstärkt.

1.2. Eine Zugfahrt als Initialzündung

Bruder Bonifatius Berger

Als das Mitglied des Herz-Jesu-Ordens Br. Bonifatius Berger, der aus der Gegend um Haselünne stammte, Ende 1919/Anfang 1920 mit dem Zug im Emsland unterwegs war, kam er mit dem Bauern Giese aus Handrup ins Gespräch. Dieser berichtete ihm, dass Handrup über keine eigene Kirche verfüge und deshalb die Handruper gezwungen seien, einen weiten Weg nach Lengerich (ca. 5 km) zurückzulegen, um die heilige Messe zu besuchen. Br. Bonifatius erzählte seinerseits von dem Plan seines Ordens, eine Niederlassung zu gründen. So überlegte man, ob sich nicht beide Anliegen verwirklichen ließen.

Aus diesem Gespräch in der Eisenbahn entwickelten sich bald konkrete Vorstellungen bei allen Beteiligten.
So hat der Orden den Osnabrücker Bischof am 14. April 1920 um seine gütige Zustimmung gebeten. „Der zwingenden Not infolge der schlechten Valuta des deutschen Geldes gehorchend, ist die deutsche Provinz der Genossenschaft der Priester vom Herzen Jesu, welche ihr Mutterhaus und ihre einzige Schule in Sittard (Holland) besitzt, seit längerer Zeit bemüht, in Deutschland eine Niederlassung zu gründen.“ Er stellte auch die seelsorgliche Aushilfe in der Diözese in Aussicht. Am 21. April 1920 erteilte der Bischof von Osnabrück die kirchenoberliche Genehmigung zum Bau eines Missionshauses bzw. einer Missionsschule in Handrup.

Die Gemeinde Handrup bzw. einzelne Bürger erklärten sich bereit, für das neue Kloster Ländereien zur Verfügung zu stellen. Auch gestattete der Orden der Gemeinde im Gegenzug die Nutzung der Kapelle bzw. Kirche und übernahm die Kosten für den Bau und die Ausstattung der zu errichtenden Gebäude.

1.3. Von der Genehmigung bis zum Schulbeginn 1923

Trotz der großen Inflation und anderer dem Projekt widriger politischer Ereignisse ging der Kloster- bzw. Schulbau zügig vonstatten. Der für Handrup zuständige P. Loh ging trotz der angespannten Finanzlage daran, weitere Grundstücke zu erwerben, um wenigstens eine kleine Landwirtschaft für die neue Niederlassung aufbauen zu können und um über eine gewisse Eigenreserve für den Lebensunterhalt zu verfügen. Ferner kaufte der Orden Ländereien, um Sportplätze anzulegen, aber auch um in unmittelbarer Klosternähe die Ansiedlung von Gaststätten zu verhindern.
Am 19.06.1921 wurde der Grundstein gelegt und 1922 zogen die ersten Ordensangehörigen in den Neubau. Trotz aller Schwierigkeiten z.B. hinsichtlich der Beschaffung von Baumaterialien und Einrichtungsgegenständen konnte der 1. Bauabschnitt 1923 fertig gestellt werden.

2. Die Jahre von 1923 – 1939

Am Pfingstdienstag, dem 22. Mai 1923, nahmen die ersten 23 Schüler an der „Humanistischen Studienanstalt des Missionshauses Handrup“, so der damalige Name, den Unterricht auf. Damit verbunden war ihr Einzug in das angeschlossene Internat, wobei festzustellen ist, dass es immer auch externe Schüler, die nicht im Internat lebten, gegeben hat. Ihre Zahl blieb in diesen Jahren immer relativ gering, was daran lag, dass die Schule in erster Linie als Nachwuchsschule für den Orden konzipiert war.
Die Handruper Schule verfügte nicht über eine Oberstufe, so dass ihre Gymnasiasten nach erfolgreichem Abschluss der Mittelstufe an das ordenseigene Gymnasium nach Sittard gingen, um dort das Abitur abzulegen.

2.1. Die ersten Schüler

Bauabschnitt 1923

In den katholischen, kinderreichen Gegenden Emsland und Oldenburger Münsterlandes schien es am Anfang der 20er Jahre viele junge Männer zu geben, die für den geistlichen Beruf fähig und geeignet waren. Weil aber in diesen Gebieten nur wenige Gymnasien existierten, konnten entsprechende Neigungen oft nicht realisiert werden. Die Schule in Handrup wollte hier Starthilfe geben.

In dieser Situation wurde der schon erwähnte Br. Bonifatius Berger tätig, indem er über das Land reiste und versuchte, für die geistliche Laufbahn geeignete Jungen anzuwerben. Nach Absprache mit den ortsansässigen Lehrern besuchte Br. Bonifatius die Eltern der in Frage kommenden Kinder und bemühte sich sie zu überzeugen, dass für ihre Söhne der Priesterberuf und der Besuch der Handruper Schule die richtige Entscheidung sei, auch wenn sie dafür in das der Schule angegliederte Internat wechseln müssten. Wurde man sich einig, so galt es den Pensionspreis festzusetzen, der in Naturalien entrichtet wurde, z.B. monatlich 10 Pfund Butter oder ein 200pfündiges Schwein im November.

2.2. Der Unterricht

Die in Handrup aufgenommenen Schüler waren in der Regel bereits 12 Jahre alt. Aus diesem Grund hatte man den Unterrichtsstoff der Sexta und Quinta (= heutige Klassen 5 und 6) in einem Jahr zusammengefasst. Neben den alten Sprachen Latein und Griechisch und Fächern wie Deutsch, Religion, Mathematik oder Geschichte wurde z.B. auch ‚Schönschreiben‘ unterrichtet.
Der Unterricht fand vier Stunden vormittags und zwei Stunden nachmittags statt. Nur am Mittwoch und Samstag gab es keinen Nachmittagsunterricht.

Eine Schulstunde dauerte 50 Minuten.

2.3. Zeugnisse und andere Beurteilungen

Dreimal im Jahr erhielten die Schüler mit Beginn der Ferien Zeugnisse, d.h., im Sommer, zu Weihnachten und zu Ostern wurden ihre erbrachten Leistungen dokumentiert. Es war auch üblich, am Monatsende die Leistungen bekannt zu geben. Dazu wandte man eine von der Sittarder Schule übernommene Punktezählung mit einer Skala von 1 bis 60 an. Hatten die Schüler weniger als 30 Punkte erreicht, so mussten die Schüler mit Strafen rechnen, d.h., ihr Arbeitsverhalten wurde stärker kontrolliert.
Im Verlauf ihres Schülerlebens konnten die Handruper insgesamt 3 Abschlüsse erreichen:

1. das RigorosumAm Ende der Untertertia (= heutige Klasse 8 ) mussten in allen Fächern, in denen die Noten nicht eindeutig waren, schriftlich und mündliche Prüfungen abgelegt werden.
2. das EinjährigeMit Abschluss der Untersekunda (= heutige Klasse 10 ) erhielten die Schüler in Form des Einjährigen die Zugangsberechtigung für die Schule in Sittard.
3. das AbiturAm Ende der gymnasialen Oberstufe in Sittard bedeutete das Bestehen des Abiturs die Zugangsberechtigung für das Studium der Theologie.

In Bezug auf die in Sittard und auch in Handrup erbrachten Leistungen ist festzustellen, dass sich trotz eines gewissen Misstrauens der Sittarder Schule die schulischen Leistungen der Handruper Schüler keineswegs als schlechter erwiesen.

2.4. Die Lehrer

In den Jahren bis 1939 unterrichteten bis auf wenige Ausnahmen nur Patres, wobei in den Anfangsjahren auch Fratres aushilfsweise einsprangen. Dies lag darin begründet, dass die Schule keine staatlichen Gelder für die Bezahlung der Lehrer erhielt.

2.5. Die Schule und der Staat

Obwohl seit 1923 in Handrup der Schulbetrieb lief, wurde erst 1929 vom Staat die Genehmigung für die Schule erteilt. Man hatte aus irgendwelchen Gründen vergessen, die ‚Geburt‘ der Schule anzuzeigen. Dieses Versäumnis hatte jedoch für Handrup keine negativen Folgen.
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten waren Kloster und Schule vermehrten Repressalien ausgesetzt. So fanden z.B. ab 1933 immer häufiger unangemeldete Kontrollbesuche statt. Auch wurde 1938 den Schülern der Untersekunda die Ausreise nach Sittard verboten, so dass diese nur unter großen Schwierigkeiten ihre Schulausbildung fortsetzen konnten.

3. Die Jahre von 1939 bis 1946

In diesen Jahren wurde die Schule in ihrer Entwicklung sehr stark getroffen. Dies wird insbesondere deutlich, wenn man sich bewusst macht, dass es einen totalen Stillstand von sieben Jahren gegeben hat. Im Jahre 1946 musste dann von Neuem begonnen werden.
Wurde die Genossenschaft der Herz-Jesu-Priester durch die sog. „Devisenprozesse“ finanziell belastet, so führten die sog. „Sittlichkeitsprozesse“ – Prozesse, in denen angebliche sittliche Verfehlungen der Ordensangehörigen verhandelt wurden – zu einer zusätzlichen Belastung des Ordens. Beide Aktionen gegen den Orden waren Ausdruck der kirchen- und religionsfeindlichen Stimmung im nationalsozialistischen Deutschland und sollten den Orden vor dem deutschen Volk bloßstellen und diffamieren.

3.1. Die Schließung der Schule

Wie schon erwähnt, litt die Schule in Handrup sehr unter den Repressalien der Nationalsozialisten. Darüber hinaus mussten die Lehrer 1936 einen Ariernachweis vorlegen. Aber damit war es noch nicht genug: Am 8. Juni 1937 wurden die Lehrer auf den Führer vereidigt.
Ein ähnliches Schicksal erlebte die Schule in Sittard, obwohl sie auf holländischem Gebiet lag. Selbst hier erschienen im März 1938 Vertreter des nationalsozialistischen Regimes, da es sich um eine deutsche Ordensschule im Ausland handelte. Sie hielten ein parteipolitisches Verhör der Schüler ab. Waren sie noch zufrieden, als diese auf die Frage nach dem Reichsfeind Nr. 1 mit ‚die Kommunisten‘ antworteten, so reagierten sie ungehalten darauf, dass die Schüler auf die Frage nach dem Reichsfeind Nr. 2 nichts antworteten. Die Kontrolleure hatten nämlich die Antwort ‚die römische Kirche‘ erwartet. Ihnen missfiel außerdem, dass an der Schule die NS-Flagge nicht gehisst worden war.

Bevor durch den Erlass vom 19. August 1938 der Widerruf der Anerkennung deutscher Ordensschulen im Ausland verkündet wurde, hatten sowohl die Sittarder als auch die Handruper Schule darunter gelitten, dass die deutschen Schüler für den Schulbesuch in Holland keine Pässe mehr erhielten. Dadurch war ihnen die Ausreise verboten und sie konnten nach Ablegen des Einjährigen ihre Studien nicht mehr in Sittard fortsetzen. Dem Orden gelang es aber, für die betroffenen Schüler eine vorübergehende Lösung in Haste bei Osnabrück zu finden. Die meisten dieser Jungen legten erst nach dem Krieg ihr Abitur ab, weil sie der beginnende Krieg an der Fortsetzung ihrer Studien hinderte.

Aber auch die Tage der Handruper Schule waren bald gezählt, denn der Regierungspräsident von Osnabrück hob am 20. Dezember 1938 mit Wirkung vom 1. April 1939 die Schule auf. Der Orden versuchte diese Entscheidung rückgängig zu machen, jedoch ohne Erfolg. So ging es nun darum, die Schüler an anderen Schulen unterzubringen. Hierbei verzichtete man in Anbetracht der hohen Schülerzahl auf eine zentrale Lösung. Es gelang hingegen durch sog. „Einkehrtage“ die Kontakte zu den Schülern zu halten.
Aufgrund dieser Vorgänge standen die Schul- und Internatsgebäude zunächst bis Ende September leer; das Kloster existierte noch weiter.

3.2. Neues Leben in den alten Gebäuden

Ende September 1939 verlegte die Genossenschaft der Herz-Jesu-Priester einen Bereich der philosophischen und theologischen Ausbildung, das Scholastikat, von Freiburg nach Handrup. Dies bedeutete, dass in Handrup Fratres der Genossenschaft philosophische und theologische Vorlesungen hörten. In der Folgezeit wurden in der Klosterkirche die heiligen Weihen bis hin zur Priesterweihe erteilt.

Neben dieser Gruppe und den sonstigen Patres und Fratres lebten im Frühjahr 1940, vor dem Einmarsch der Deutschen in Holland, sogar Soldaten, die vor allem in der Baracke einquartiert waren, auf dem Kloster- bzw. Schulgelände.

Aber auch diese Episode ging zu Ende, als immer mehr Studenten zum Kriegsdienst eingezogen wurden und die Verbleibenden nach Freiburg zurückkehrten.

3.3. Die Missionsschule als Lehrerinnenbildungsanstalt (LBA)

Im März 1941 musste das Kloster seinen gesamten Besitz mit Ausnahme der Kirche an den Staat abtreten. Es hatte keine Möglichkeit, sich dieser Anordnung zu entziehen. Bald wurde in der ehemaligen Missionsschule die nationalsozialistische Lehrerinnenbildungsanstalt errichtet. Dabei handelte es sich um eine Ausbildungsstätte für Volksschulabsolventinnen, die in fünf Jahren zu einem Abschluss als Volksschullehrer geführt werden sollten. Über diese Zeit sind kaum Informationen, vor allem aber keine Akten vorhanden. Ungefähr 80 Mädchen lebten bis zum Winter 1944/1945 hier. Zwischen den Mädchen und der Dorfbevölkerung entstanden keine Kontakte, da die beiden Gruppen weltanschaulich und religiös zu unterschiedlich eingestellt waren. Mädchen, die trotz Verbots an Gottesdiensten teilgenommen hatten, mussten bald darauf die Schule verlassen.

Aber auch die Anwärterinnen zum Lehramt, in deren Ausbildungszeit die Räume der Schule umgeändert wurden, konnten die Gebäude nicht alleine benutzen. Im letzten Kriegsjahr mussten sie das Dachgeschoss als Quartier für die Einsatzstaffeln eines Jagdverbandes zur Verfügung stellen. So lebten in einem Klostergebäude Mädchen und Soldaten, zwar streng voneinander getrennt, aber doch unter einem Dach.
Das sich abzeichnende Kriegsende zog unter diese Epoche einen Schlussstrich.

3.4. Das Kriegsende

Noch in den letzten Kriegstagen kam es zu einem Bombenangriff auf Handrup. Weil in der Zwischenzeit im Gebäude der Schule bzw. des Klosters eine Funkstation der deutschen Wehrmacht untergebracht worden war, griffen die Alliierten die Stellung an und fügten den Gebäuden schweren Schaden zu. Einen Tag später kam es zusätzlich zu einem Beschuss der beschädigten Trakte durch deutsche Artillerie von Haselünne aus. Durch diese Angriffe wurde z.B. die Kirche so stark beschädigt, dass sie ein Jahr lang nicht mehr benutzt werden konnte.
Nach der Inbesitznahme der Alliierten blieben Kloster und Schule bis zum 19. Juli 1945 in den Händen der englischen Besatzungsmacht.

4. Die Jahre von 1946 bis 1971

Diese Epoche ist eng mit dem Namen P. Wilhelm Reckers verbunden, der in diesen Jahren als Schulleiter die Geschicke der Schule maßgeblich beeinflusst hat. (1957-1958 leitete P. Johannes Kück das Gymnasium). Als wichtiges Datum muss hier der 13. April 1956 genannt werden, an dem die Handruper Schule die staatliche Anerkennung als „gymnasiale Vollanstalt“ erhielt.

4.1. Der Wiederbeginn des Unterrichts

Erweiterungsbau

Am 4. Mai 1946 erlaubte die britische Militärregierung dem Herz-Jesu-Kloster Handrup die Wiedereröffnung seiner Schule. In der Folgezeit wurde die Schule dann dem Regierungspräsidenten in Osnabrück unterstellt, der sie jährlich bis 1950 aufs Neue genehmigen musste.
In welcher Form die Entwicklung der Schule zu gestalten sei, d.h., ob die Schule über eine gymnasiale Oberstufe verfügen dürfte oder ob sie wie vor dem Krieg nur eine Unter- und Mittelstufe umfassen sollte, war noch nicht entschieden.
Man hielt aber in Bezug auf die Ausrichtung der Schule an den Vorkriegstraditionen fest.

Schulleiter Pater Wilhelm Recker

Die Schule blieb weiterhin für die Ausbildung von Ordens- bzw. Priesternachwuchs konzipiert, zumal dieser Nachwuchs durch den Krieg rigoros dezimiert worden war; denn während zu Beginn die deutsche Ordensprovinz 94 Theologiestudenten zählte, gab es nach Kriegsende keinen mehr. Dann meldeten sich einige Kriegsheimkehrer.
Bereits am 9. Mai begann für die ersten 23 Jungen der Schulunterricht in der Sexta. Dieser Jahrgang stellt auch insofern eine Besonderheit dar, als mit den Herbstferien des Jahres 1946 die begabtesten Schüler dieser Klasse der Quinta (= Klasse 6) zugeteilt wurden. Ansonsten gab es kein Überspringen einer Klasse in Handrup. Auf diese Weise erreichte man aber, dass bereits nach einem halben Jahr Schulbetrieb zwei Klassen in der Schule unterrichtet werden konnten.
Mit dem Wiederbeginn des Unterrichts war auch die Wiedereröffnung des Internats verbunden.

4.2. Die Schüler

In Bezug auf das Zahlenverhältnis von Internen zu Externen ist festzustellen, dass die Zahl der Externen wie vor Beginn des Krieges eher gering blieb. Die Gesamtschülerzahl stieg hingegen unter P. Recker bis auf 312 im Jahre 1970 an, wobei man erst ab ungefähr 1965 eine deutliche Zunahme der externen Schüler erkennen kann. Dies ist ein Indiz dafür, dass die Bevölkerung der umliegenden Gemeinden das Gymnasium Leoninum zunehmend als Schule für ihre Kinder in Anspruch nahm. Die gerade skizzierte Entwicklung vollzog sich aber nicht in deutlichen Sprüngen, sondern stetig.

4.3. Der Unterricht

Der Unterricht litt bis zum Ende der 40er Jahre stark durch den Mangel an geeigneten Unterrichtsmaterialien. Nicht zuletzt auch aufgrund der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Epoche gab es in manchen Fächern nicht einmal Schulbücher. In diesem Zusammenhang scheint auch die Tatsache bemerkenswert, dass bis 1949 kein Geschichtsunterricht erteilt werden durfte.

Auf Drängen der Besatzungsmacht veränderte sich der Lehrplan für die Klasse 5: Neben Latein wurde mit Englisch eine weitere Fremdsprache mit derselben Stundenzahl betrieben. Überhaupt, so der ehemalige Direktor der Schule in seinen Erinnerungen, kam es in den Jahren bis 1962 zu ständigen Veränderungen in den Stundentafeln. Im Unterschied zur Zeit vor dem 2. Weltkrieg fand der Unterricht nur noch vormittags zwischen 8 Uhr und 12.15 Uhr statt, wobei auch am Sonnabend regulärer Unterricht erteilt wurde.
In Bezug auf das Notensystem ergab sich insofern eine Veränderung, als jetzt das wohlbekannte System von 1 bis 6 angewendet wurde. Der Unterricht fand im strengen Klassenverband bis zum Abitur statt.
In den Jahren 1966 und 1967 wurde das Schuljahr neu strukturiert: Anstelle des Schuljahrbeginns zu Ostern trat 1967 der Schuljahresbeginn im Sommer bzw. Herbst. In der Zeit zwischen Ostern 1966 und Herbst 1967 gab es in Niedersachsen zwei sog. Kurzschuljahre.

4.4. Das Streben nach staatlicher Anerkennung

Als der erste Jahrgang 1951 die Untersekunda (= 10. Klasse) abgeschlossen hatte, begann ein neuer Abschnitt in der Geschichte des Missionsgymnasiums: der Ausbau zur Vollanstalt und das Ringen um die staatliche Anerkennung.
Am 15. November 1951 wurde die Handruper Schule daraufhin der staatlichen Verwaltung der höheren Schulen in Hannover unterstellt. Es dauerte aber noch bis zum 12. April 1956, bis die Schule die volle staatliche Anerkennung erhielt.
Bis dahin fand die Reifeprüfung als Nichtschüler-Reifeprüfung d.h. Externenabitur statt: Die Schüler legten in neun Fächern vor einer Prüfungskommission, gebildet aus schulfremden und -eigenen diplomierten Lehrern, ihre Prüfung ab. Hier sollte man noch darauf verweisen, dass in der Zeit bis 1956 das Lingener Gymnasium Georgianum für Handrup als betreuende Schule fungierte.
Nach längeren Bemühungen, vor allem durch die Lehrer, erhielt die Handruper Schule 1956 die Anerkennung als privates altsprachliches Gymnasium. Dies bedeutete, dass die Schüler von nun an ihre Reifeprüfung vor den eigenen Lehrern ablegen konnten. Außerdem übernahm der Staat mit der Anerkennung der Schule als Vollanstalt die Besoldung der Lehrkräfte. Wegen der finanziellen Belastungen der Schule wäre ohne diesen Schritt die Existenz des Gymnasiums nicht sichergestellt gewesen.

4.5. Die Namensänderung

Mit Beginn des Schuljahres 1964/65 wurde die Schule umbenannt. Anstelle des Namens „Gymnasium Missionshaus Handrup“ hieß sie nun „Gymnasium Leoninum“. Im Zuge der Veränderungen der Gesellschaft, aber auch der Neuorientierung innerhalb der katholischen Kirche nach dem 2. Vatikanum markiert dieser Vorgang eine weitere Öffnung der Schule hin zu einer freien katholischen Schule. Den Namen „Leoninum“ wählte der Orden zum Gedenken an seinen Stifter P. Leo Dehon. Ausdrücklich hebt die Chronik des Klosters hervor, dass das Herz-Jesu-Fest weiterhin das Patronatsfest der Schule und des Klosters bleiben soll, da die Träger beider Einrichtungen die Herz-Jesu-Priester der deutschen Ordensprovinz sind.

5. Die Jahre 1971 bis 1998

Pater Recker überreicht Josef Meyer-Schene das Abiturzeugnis

Unter dem Direktorat P. Dr. Josef Meyer-Schenes, der am Handruper Gymnasium sein Abitur bestanden hatte, vollzog das Gymnasium Leoninum den endgültigen Schritt zu einer freien katholischen Schule in Trägerschaft der Herz-Jesu-Priester. Durch diesen Schritt konnte P. Dr. Meyer-Schene in Zeiten des Umbruchs im Bildungswesen die Existenz der Schule nicht nur sichern, sondern auch das Leoninum zu einer bei Eltern und Schülern gleichermaßen beliebten Bildungsanstalt entwickeln. Überhaupt war es ihm ein besonderes Anliegen, dass alle am Erziehungsprozess beteiligten Gruppen eng zusammenarbeiteten.

Während seiner Amtszeit veränderte sich das Leoninum sowohl in Bezug auf das äußere Erscheinungsbild als auch in Bezug auf die innere Ausgestaltung so sehr, dass in dieser Schrift nicht alle Details aufgegriffen werden können.

von links: Herr Stuckenberg, Herr von den Benken, Herr Tolksdorf, Herr Adams und Pater Recker

5.1. Ziele der freien katholischen Schule

Durch das II. Vatikanum wurden Bewegungen in Gang gesetzt, die darauf drängten, die kirchlichen und ordenseigenen Schulen zu öffnen, um die Erziehung junger Menschen, die sich mit dem Gedanken trugen, Priester und Ordensmann oder Ordensfrau zu werden, nicht zu eng zu gestalten. In kirchlichen Kreisen setzte sich zudem immer mehr die Meinung durch, dass reine Nachwuchsschulen nicht mehr zeitgemäß seien.
Ausgehend von diesem Ansatz öffnete sich das Gymnasium Leoninum. Die Entwicklung hin zu einer freien katholischen Schule ließ Zweifel aufkommen, ob das Gymnasium Handrup nicht seinen eigentlichen Auftrag aufgegeben habe, Priester heranzubilden, und ob ein katholisches Gymnasium sinnvoll sei, wenn es nicht mehr als typische Ordensschule geführt werde. Nach P. Dr. Meyer-Schene hat das Leoninum aber nicht sein ursprüngliches Ziel aufgegeben, junge Menschen zum priesterlichen Dienst heranzuführen. Während man früher die Entwicklung in diese Richtung steuern konnte, komme es jetzt verstärkt darauf an, dass die Lehrer und Erzieher durch Orientierung an der gesamten schulischen Ausbildung und Erziehung an den Grundwerten der christlichen Offenbarung und durch ihren persönlichen Glauben die jungen Menschen zu mündigen Christen und verantwortungsbewussten Staatsbürgern formen, die in allen Lebensbereichen zu echten Glaubensentscheidungen fähig sind. In diesen Zielsetzungen sehe die Schule ihren unersätzlichen Auftrag als freie Schule. Für Ordenspriester biete das Zusammenleben mit den Schülern im Internat nach wie vor die beste Möglichkeit, in ihnen Freude und Bereitschaft zum unmittelbaren Dienst in der Kirche zu wecken.

5.2. Der Schulverbund

Zu Beginn der 70er Jahre stellte sich dem Leoninum die Frage, wie es sich in Anbetracht der veränderten Schullandschaft behaupten könnte. Denn als Reaktion auf die Kritik an der Effizienz des bestehenden Schulwesens setzte am Ende der 60er Jahre eine Reformbewegung ein. So wurden z.B. an vielen Orten Gymnasien errichtet, um der Jugend den Zugang zur höheren Bildung zu erleichtern. Auch Gesamtschulen und die Schaffung der Orientierungsstufe als eigenständige Schulform sollten diesem Missstand Abhilfe schaffen. Beide Schulformen wurden als Alternativen zum traditionellen dreigliedrigen Schulsystem eingeführt.
In diesem Zusammenhang hatte bereits das im Einzugsgebiet des Leoninums gelegene Fürstenau eine Gesamtschule erhalten und es stand zu befürchten, dass in den umliegenden Gemeinden wie Freren oder Lengerich ebenfalls ein gymnasiales Angebot entstehen könnte. Deshalb entschloss sich das Gymnasium Leoninum bzw. das Herz-Jesu-Kloster 1971, mit den Samtgemeinden Lengerich und Freren den sog. „Schulverbund“ zu gründen. Diesem Verbund trat später noch die Samtgemeinde Spelle bei.

In der Vereinbarung über den Schulverbund, der für die Dauer von 30 Jahren geschlossen wurde, sicherte das Gymnasium Leoninum die Aufnahme aller Schüler zu, die am Ende der Orientierungsstufe die Gymnasialempfehlung erhalten, sofern die Eltern dies wünschen und die Erziehungsziele der Schule tragen. Das Leoninum verpflichtete sich in die Klasse 5 keine Schüler aus den beteiligten Gemeinden aufzunehmen. Dies sei nur dann möglich, wenn die Schüler in das Internat einziehen würden.
Alle beteiligten Schulen sollten intensiv zusammenarbeiten und ihre Unterrichtsstoffe aufeinander abstimmen. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde der Austausch von Lehrkräften beschlossen: Seit Beginn des Schulverbundes unterrichten Lehrer des Leoninums an den Orientierungsstufen Lengerich, Freren und Spelle, umgekehrt erteilen Lehrkräfte dieser Schulen in Handrup Unterricht.

Karte 1976

Ursprüngliche Intention des Schulverbundes war es, dem Gymnasium Leoninum einen festen Schülerstamm von 650 bis 750 Schülern zu garantieren, doch wurde diese Zahl bereits 1979 übertroffen, weil die Handruper Schule eine große Anziehungskraft auch über die Kreisgrenzen ausübt. Insbesondere viele Fürstenauer Eltern sehen in ihr trotz der Existenz einer Gesamtschule, die eine gymnasiale Oberstufe anbietet, die geeignete Schule für ihre Kinder. Für diese Kinder, aber auch für Lingener Schüler steht das Leoninum bereits ab Klasse 5 offen.
Als Folge der Vereinbarung über den Schulverbund beteiligte sich der Landkreis Lingen bzw. später der Landkreis Emsland an Investitionen und sachbezogenen Kosten, so dass die Schüler des Sekundarbereiches I aus den an Schulverbund beteiligten Kommunen kein Schulgeld bezahlen müssen.

5.3. Die Schüler

Als weitere Neuerung ergab sich im Jahr 1971, dass zum ersten Mal drei Mädchen in die damalige Klasse 5 kamen, denn 1971 bzw. 1973 wurde das Gymnasium Leoninum von einer reinen Jugenschule in eine Koedukationsschule umgewandelt. So hatten auch Mädchen aus dem Einzugsgebiet der Schule die Möglichkeit, als externe Schülerinnen hier die Schule zu besuchen.
Die Öffnung des Leoninums wird daran deutlich, dass verstärkt evangelische Kinder angemeldet wurden. Darüber hinaus steht das Gymnasium aber auch Kindern anderer Religionen offen, wenn ihre Eltern sich mit den Zielen der Schule einverstanden erklären. Im Schuljahr 1972/73 wurde erstmals ein Realschulabsolventenzweig eingerichtet, weil vermehrt Realschüler mit ihrem Abgangszeugnis nach einem höheren Abschluss strebten. Dies war eine Folge der verstärkten Bemühungen der Gesellschaft, immer mehr Jugendlichen den Zugang zur höheren Bildung zu ermöglichen.Was die Internatsschüler angeht, so fällt auf, dass ihre Zahl immer stärker abnahm. Dies ist in erster Linie auf das Angebot neuer Gymnasien und besserer Schülertransportbedingungen zurückzuführen. Auch nutzen vermehrt potentielle Internatsschüler das ortsnahe Angebot einer Realschule, um mit dem erweiterten Sekundarstufe I-Abschluss ans Gymnasium zu wechseln. Aufgrund der rückläufigen Entwicklungen musste am Ende des Schuljahres 1998/99 das Internat geschlossen werden.

Landrat Meiners überreicht Pater Meyer-Schene 1999 das Bundesverdienstkreuz; rechts: Erster Kreisrat Winter
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