Haben uns die Medien im Griff?
Theo Mönch-Tegeder
Leitender Politik-Redakteur der Neuen Osnabrücker Zeitung
Vortrag im Rahmen des „9. Handruper Forums“
(Zu diesem Abend existieren nur mehr Manuskripttexte)
Begrüßung durch P. Dr. H. Wilmer SCJ, Schulleiter
Sehr geehrte Eltern!
Lieber Schülerinnen und Schüler!
Besonders begrüße ich hier die ehemaligen Schülerinnen und Schüler. Schön, dass Sie wieder in Ihre alte Schule zurückgekommen sind.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Herzlich heiße ich Sie alle heute Abend in der Aula des Gymnasiums Leoninum willkommen, insbesondere begrüße ich die Priester aus den Pfarrgemeinden des Einzugsgebietes. Ich begrüße die Vertreter der Kommunen und politischen Gemeinden aus dem Landkreis Emsland und aus dem Landkreis Osnabrück. Stellvertretend nenne ich unseren Ortsbürgermeister Herrn Josef Stockel. Ebenso begrüße ich die Vertreter der Presse.
Liebe Mitbrüder, liebe Gäste, sehr geehrte Damen und Herren!
Seit einigen Jahren ist das Handruper Forum eine feste Größe im Schulalltag des Gymnasiums Leoninum. Ziel ist es, Schülern, Eltern, Lehrern und Öffentlichkeit zu einer aktuellen und relevanten Thematik ins Gespräch zu bringen.
Für die diesjährige Herbstveranstaltung haben wir Herrn Theo Mönch-Tegeder als Referenten gewonnen. Herr Mönch-Tegeder ist Journalist und Leitender Politik-Redakteur der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Seit vielen Jahren verfolgt er das aktuelle Politikgeschehen und die gesellschaftlichen und publizistischen Auswirkungen und Veränderungen aus erster Hand.
Herr Mönch-Tegeder, herzlich willkommen in Ihrer alten Schule!
Herr Mönch-Tegeder wird heute Abend zu dem Thema sprechen: „Haben die Medien uns im Griff? Anmerkungen zu einer problematischen Beziehung“.
Für Herrn Mönch-Tegeder ist der Besuch im Leoninum heute Abend eine Art „Heimspiel“, war er doch selbst Schüler dieser Schule. 1971 machte er hier sein Abitur, anschließend studierte er Germanistik, Geschichte und Publizistik. Von 1984 bis 1992 war er Wirtschaftsredakteur der Wochenzeitung „Rheinischer Merkur“, von 1988 bis 1997 Mitglied im Kuratorium der Stiftung Warentest in Berlin, von 1992 bis 1996 Leiter der Parlamentsredaktion des „Rheinischen Merkur“, von 1995 bis 1998 Mitglied der Studiengruppe „Gesamteuropäische Fragen“ bei der Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik (DGAP). Seit 1996 arbeitet er als Leitender Politik-Redakteur bei der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.
An dieser Stelle möchte ich allen danken, die für die Gestaltung dieses Abends gesorgt haben, ich danke allen, die diesen Raum hergerichtet haben.
Ein spezieller Dank gilt Herrn Oberstudienrat Paul Wöste. Seit vielen Jahren hat Herr Wöste das Handruper Forum aufgebaut, geleitet und zu seinem Erfolg verholfen. Auch für das heutige Handruper Forum hatte Herr Wöste die gesamte Organisation inne. Lieber Herr Wöste, herzlichen Dank für die Arbeit und das Engagement.
Uns allen wünsche ich einen lebendigen Abend. Herr Mönch-Tegeder, Sie haben das Wort.
Vortragsmanuskript Theo Mönch-Tegeder
Lieber Pater Wilmer,
sehr geehrter Pater Strieker, meine Damen und Herren!
Hier heute vor Ihnen sprechen zu dürfen, hat für mich eine besondere Bedeutung. Das letzte Mal hatte ich vor knapp 30 Jahren, im Mai 1971, die Gelegenheit, in Handrup eine Rede zu halten – damals als Sprecher der Abiturienten bei unserer Entlassungsfeier. Dass ich hierher zurück kommen kann, um meine Gedanken vor Ihnen auszubreiten und mit Ihnen zu diskutieren, erfüllt mich mit großer Freude, ich danke darum ganz herzlich für die Einladung.
Vieles, was ich hier sehe, ist neu. Handrup hat sich wirklich herausgeputzt und seine Chance genutzt. Wir waren damals der letzte Jahrgang, den Pater Recker als Direktor zum Abitur führte, Pater Dr. Meyer-Schene war bereits im Haus und bereitete tatkräftig – ich sage einmal – das „neue Handrup“ vor, den Schulverbund und die Anerkennung als Regelschule für diesen Raum Spelle, Freren, Lengerich und darüber hinaus.
Ich kann nur sagen: Mein Kompliment, das Experiment ist gelungen! Handrup genießt einen hervorragenden Ruf. Da meine Kinder wiederum kirchliche Gymnasien besucht haben bzw. noch besuchen – zunächst das Gymnasium Nonnenwerth im Rhein bei Bonn, jetzt die Angelaschule in Osnabrück – weiß ich, dass Handrup den Vergleich nicht zu scheuen braucht.
Vieles zeugt von Dynamik – die Gebäude, die in der Zeitspanne seit meinem Abgang entstanden sind, die schmucken Außenanlagen, nicht zuletzt aber auch das Wagnis der Pilgerreise nach Santiago de Compostela im vergangenen Sommer.
Diese Dynamik, die Bereitschaft Neues zu wagen, kommt hier sinnenfälliger zum Ausdruck als an den meisten vergleichbaren Schulen. Ich denke, dies muss man als großen Pluspunkt bewerten. Denn die Aufgeschlossenheit dem Neuen Gegenüber ist mit das Wichtigste, das Sie den Schülern für ihren weiteren Lebensweg vermitteln können, sofern sie einhergeht mit einem soliden Wissensfundament und einer Werteorientierung als dem Kompass, der durch alle Wagnisse hindurchführt.
Handrup kommt langsam in das Alter, in dem sich Traditionen entwickeln. Dies ist meines Erachtens in dem Kontinuum der rund 80 Jahre ein gemeinsamer Nenner. Und Tradition im wohlverstandenen Sinne bedeutet ja nicht, den erkalteten Herd zu bewahren, sondern das Feuer weiter zu tragen.
Doch trotz all des Neuen ist mir auch vieles absolut vertraut, so als ob ich erst gestern die Schule verlassen hätte. Ich hatte das Vergnügen, bereits im Spätsommer einmal gemeinsam mit meiner Frau und meinen beiden jüngsten Kindern von Pater Wilmer durch das Kloster und die Schule geführt zu werden.
Das war eine Sinnenreise – nicht zuletzt hat die Nase meinem Gedächtnis wieder auf die Sprünge geholfen. Die Kapelle, der lange Gang von der Kirche zu unseren früheren Klassenräumen, der Speisesaal, die Spülküche, der Internatstrakt – sie alle haben ihre jeweils eigenen Gerüche bewahrt, und sobald ich die Luft einsog, tauchten die vielen Geschichten wieder auf, die so lange im Langzeitgedächtnis abgespeichert waren.
Vertraut sind mir natürlich auch noch manche Gesichter und Namen. Pater Strieker kam damals als Jungpriester nach Handrup. Ich erinnere mich noch, als wäre es gestern gewesen an ein sehr eindrucksvolles Wochenende in dem Heuerhaus, das die Schule seinerzeit als Freizeitheim in der Nähe von Ankum betrieb. An die stundenlange Diskussion mit Pater Strieker, die sich bis tief in die Nacht hineinzog und an die heilige Messe, die wir danach gemeinsam am nächsten Morgen feierten.
Auch Pater Walhorn kam damals als junger Präfekt zu uns. Pater Kunz war mein erster Klassen- und für viele Jahre mein Lateinlehrer. Pater Moormann, den ich eigentlich nur unter dem Namen „Pater Ökonom“ kenne, ist überhaupt schuld, das ich nach Handrup kam. Er hatte auf einer seiner Werbetouren durch die Schulen der Umgebung zunächst meinen Bruder angelockt, dem ich dann im Jahr darauf folgte. Bei Josef Meisner hatte ich zwar nie Unterricht, aber als Lehrer, der sich politisch engagierte, hat er uns ein Vorbild gegeben, es doch auch zu versuchen.
Ich könnte den ganzen Abend so weiter erzählen. Doch Sie sind nicht hierher gekommen, um meine nostalgischen Schwärmereien zu erleiden. Das Handruper Forum hat sich einen Namen gemacht, weil es sich mit wichtigen Zukunftsfragen auseinandersetzt. Im vorigen Jahr sprach Hans Gerd Pöttering zu den großen europapolitischen Fragen, und ich war beeindruckt, als ich las, dass auch der unvergessene Ignatz Bubis bereits hier auf diesem Podium stand. Sein Appell zu engagierter Toleranz ist in dieser Zeit so aktuell wie je.
In diese Prominenz der Namen kann und will ich mich nicht einreihen. Nichtsdestoweniger umreißt auch das Thema dieses Abends in zugespitzter Form eine der ganz wichtigen Zukunftsfragen, die mit dem Eintritt ins 21. Jahrhundert vor uns steht. Wir erleben eine neue technologische Revolution, und das Wesen dieser Umwälzungen basiert auf den Möglichkeiten des schnellen, preiswerten Informationsaustausches, der Verfügbarkeit des Wissens dieser Welt, kurz: wir treten ein in das Zeitalter der Kommunikation.
Jeder, der im zurückliegenden halben Jahr die Weltausstellung in Hannover besuchte, hat einen kleinen Eindruck davon erhalten, wie in Zukunft die Medien unser Leben bestimmen und verändern werden. Ja. Ich glaube, die Expo ist auch noch auf andere Weise zum Symbol für die gewaltigen Veränderungen geworden. Die neuen Möglichkeiten der Informationsverbreitung machen solche Mammutveranstaltungen wie die Expo mehr und mehr überflüssig. Nicht nur, dass vieles, was in Hannover zu erleben war, auch nur eine mehr oder weniger mediale Darstellung des jeweiligen Themas war. Wir erhalten auch fortlaufend so viel Neuigkeiten ins Haus geliefert, dass eine Weltausstellung zunehmend Probleme bekommt, ihre Position als Marktplatz der neuesten Erkenntnisse, Erfindungen und Welttrends zu behaupten.
Bei unserem Thema geht es um die Frage, wie wir diese Revolution des Informationszeitalters gestalten können und müssen, damit sie uns den größtmöglichen Nutzen bringt und zugleich erkennbare Schäden und Nachteile so weit wie möglich vermieden werden.
Die Erfahrungen mit der industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts stehen uns noch vor Augen. Eine der schlimmsten negativen Folgen, den Kommunismus, haben wir soeben erst überwunden. Oder wiederholen sich in der informationstechnologischen Revolution die Prozesse, die wir aus der kommunistischen Revolution und auch aus der industriellen Revolution bereits kennen: dass nämlich die Revolution ihre Kinder frisst. Oder dass wir zumindest wie Goethes Zauberlehrling die Geister, die wir riefen, nicht mehr beherrschen?
Dies ist derzeit ein Megathema. Es hat wohl noch nie so viele Medienkongresse gegeben wie derzeit, die alle irgendwie um diese Frage kreisen.
Ich war sehr verwirrt, als ich vor einem Jahr zum Mediensonntag an einer großen, von der Kirche veranstalteten Diskussion zu genau diesem Thema „Haben uns die Medien im Griff?“ teilnehmen durfte. Eingeladen war außer mir noch der Chefredakteur des Kirchenbote, Bernhard Remmers, und wir hatten uns so abgestimmt, dass wir ein Streitgespräch führen wollten _ der eine sagt und begründet: Ja, die Medien haben uns im Griff. Dieser Part sollte mir zufallen. Der andere, Bernhard Remmers, wollte die Gegenposition einnehmen. Doch dann malte der Leiter der Veranstaltung, ein weithin anerkannter Pädagoge, in seinem Eingangsreferat ein derart pessimistisches Bild voll von Medienskepsis, dass ich mich spontan entschloss, trotz aller Absprachen auch dagegen zu halten.
Ich war geradezu verwirrt darüber, dass von einem wirklich klar und nüchtern denkenden Mensch eine Sicht vermittelt wurde, das Sie und ich dem Fernsehen, dem Rundfunk und den Zeitungen mehr oder weniger hilflos ausgeliefert seien. Ein wenig erinnerte es mich daran daran, dass noch im Jahr 1832 der damalige Papst Gregor XVI. in seiner Enzyklika „Mirari vos“ eine wütende Abrechnung mit sämtlichen politischen und geistigen Freiheitsforderungen vorlegte, die sich aus dieser und den folgenden technischen Entwicklungen und den Erkenntnissen der Aufklärung herleiteten. Er sprach vom „Wahnwitz“ der Denk- und Redefreiheit. „Hierzu“, so der Papst, „gehört auch jene schändliche, nicht genug zu verabscheuende Freiheit der Presse, die einige zu fordern wagen.“
Kürzlich wohnte ich einem Vortrag von Renate Köcher, der Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie in Allensbach, bei, die auf neue sozialwissenschaftliche Daten hinwies, die in diesem Zusammenhang wichtig sind und von einem ähnlichen Pessimismus geprägt waren. Wenn gefragt wird, wer derzeit die gesellschaftliche und politische Richtung bestimmt, stehen in der Rangfolge der Antworten an erster Stelle die Wirtschaft, die Konzerne, die Bosse. An zweiter Stelle werden die Medien genannt, erst an dritter Stelle – und zwar mit großem Abstand – die Parteien und die Politiker. Stellt sich hier vielleicht die Pyramide der Macht, das Fundament unserer Demokratie, auf den Kopf?
Gleichzeitig offenbart sich eine große Unzufriedenheit _ eine Stimmung, die sich gewissermaßen von der Politik auf die Medien überträgt: die machen mit uns, was sie wollen. Denen ist nicht zu trauen. Man kann ihnen nicht glauben. Nun ist diese Einstellung so alt wie die Massenmedien selbst. Immerhin gehört der Satz „Der lügt wie gedruckt“ zu unserem Sprichwörterschatz. Was immerhin zeigt, dass die Frage, um die es uns heute geht, das Spannungsverhältnis seit jeher beschreibt.
Es kommen aber neue Vorwürfe hinzu: Vor allem der, dass die Medien ihre Rolle als vierte Macht im Staate überziehen. So muss man wohl die Klage von Thomas Goppel, des Generalsekretärs der CSU verstehen, der kürzlich sagte: „Wir werden manipuliert wie nie zuvor“. Journalisten, so sein Vorwurf, schürten nicht nur Konflikte, sondern steuerten durch die Themenauswahl auch die Wahrnehmung und machten somit selbst Politik. Ähnliches ist aus dem Mund von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und sogar _ natürlich mit der gebotenen diplomatischen Zurückhaltung eines Staatsoberhaupts _ von Bundespräsident Johannes Rau zu vernehmen.
Dazu passt dann auch auf der anderen Seite eine neue Marketingstrategie vor allem der großen Publikumsmedien, die sich explizit „agenda setting“ nennt – also „Bestimmen der Tagesordnung“. Udo Röbel, der Chefredakteur der „Bild“-Zeitung bekennt ganz freimütig und stolz: „Ich muss jeden Tag die Tagesordnung für die Leser festlegen“. Und dabei spiele die Politik inzwischen kaum noch eine Rolle, sie werde von Themen wie „Big Brother“ übertroffen.
Und noch aus einer dritten Quelle speist sich die Unzufriedenheit: Inzwischen erleben wir ein Überangebot an Medien. Wer über einen Kabelanschluss verfügt oder eine Satellitenschüssel auf dem Dach hat, kann aus mehr als zwanzig Fernsehprogrammen auswählen, hinzu kommen Hunderte von Rundfunkprogrammen. In den Kiosken buhlen Tausende von Zeitungen, Zeitschriften und Magazinen um unsere Gunst. Unübersehbar ist das Angebot an CDs und Videokassetten. Wir kommunizieren per E-Mail und Telefon zu absolut erschwinglichen Preisen. Ich erlebe an meinen Kindern, wie sie Kontakte in alle Welt aufbauen. Das Wissen der Welt steht uns in Minutenschnelle zur Verfügung.
Alles zusammen genommen leben wir bereits jetzt in einem Schlaraffenland der Information, Kommunikation und Unterhaltung. Aber hier trifft der hämische Satz zu, dass das Gegenteil von „gut“ nicht etwa „schlecht“ heiße, sondern gut gemeint. Das Märchen vom Schlaraffenland erzählt uns ja bereits, wie es weitergeht. Die Gesellschaft leidet angesichts des Überangebots unter Übersättigung, sie sind unfähig zur Auswahl und konsumiert stattdessen einfach wahllos.
Ich war lange Jahre als journalistischer Sprecher im Kuratorium der Stiftung Warentest tätig. Das Kuratorium ist dort so etwas wie der Aufsichtsrat, der für die inhaltlichen Fragen zuständig ist. Sofort nach dem Fall der Mauer wurde die Stiftung auch in Ostberlin und der ehemaligen DDR sehr aktiv. Es gab Hunderte und Tausende von Beispielen dafür, wie die Menschen der neuen Länder von dem Warenangebot, das auf sie einstürmte, überwältig wurden – im wahrsten Sinne. Harmlos ist ja noch die Geschichte von demjenigen, der nun im Kaufhaus des Westens ein Glas Senf erstehen wollte und mit einem Schlag vor einer Wand mit Hunderten verschiedenen Geschmacksrichtungen steht. Schlimmer ist, dass den Menschen Waren, Versicherungen, Dienstleistungen angedreht wurden, in denen Preis und Leistung in keinem Verhältnis stand. Die Schuldnerberatungsstellen haben uns damals wirklich Geschichten erzählt, die einem die Zornesröte ins Gesicht trieben, bei denen man sich aber andersherum auch manches Mal fragte: Wie kann man nur so dumm sein? Die Menschen wussten es nicht besser. Sie waren auf die neue Situation nicht vorbereitet.
Ähnlich ergeht es uns derzeit mit dem Medienangebot. Wir werden überrollt von der Informations- und Unterhaltungsflut und drohen darin zu ertrinken. Wir wissen nicht, wie wir den Kopf über Wasser halten sollen. Wir erfahren immer mehr, aber wissen wir darum auch mehr? Wer hat es eigentlich zu verantworten, dass wir mit Informations- und Unterhaltungsmüll geradezu vollgestopft werden?
Die Tatsache, dass sich viele dem Überangebot hingeben, wird als der stärkste Beweis dafür genommen, dass uns die Medien in den Griff nehmen wollen. Denn die Zeit, die wir für die Mediennutzung aufwenden, wird immer länger, und raubt die Aufmerksamkeit von Dingen, die gewiss wichtiger wären: Mitwirkung in Vereinen etwa, soziale Zuwendung, aber auch die ganz persönliche Weiterbildung.
Es ist ja auch nicht so, als ob man keine Manipulationsabsichten erkennen könnte. Regelmäßig werden bestimmte Kampagnen gestartet, wird Hysterie erzeugt, die dann genau so schnell wieder abflacht, weil es an der Zeit ist, eine neue Sau durch’s Dorf zu jagen.
Ja, die Medien sind stark, stärker als jemals zuvor. Man sieht es schon daran, dass sie zur Schlüsselbranche aufgestiegen sind, die das Wachstumstempo und die Entwicklung der Volkswirtschaft maßgeblich bestimmen – so wie zuvor die Auto- oder die Chemieindustrie.
Und doch muss vor dieser Argumentationslinie ein Stoppschild aufgestellt werden, denn sie führt in die Irre. Die Behauptung ist falsch, dass die Medien uns im Griff haben, dass wir der Macht der Medien ausgeliefert wären. Ich behaupte, es ist eher umgekehrt: Die Konsumenten haben die Medien im Griff. Das macht die Sache freilich nicht leichter, und darum ist die Unterzeile des Vortragstitels heute Abend in jedem Fall richtig: Anmerkungen zu einer problematischen Beziehung. Denn Probleme und Schwachstellen gibt es mehr als genug.
Warum wehre ich mich so entschieden gegen den Vorwurf, dass die Medien die Menschen im Griff haben? Seien wir doch bitte nicht so geschichtsblind. Den Zustand, dass die Medien die Menschen im Griff hatten, konnten wir lange genug aus nächster Nähe beobachten – nämlich in der DDR wie in allen anderen sozialistischen und totalitären Staaten. Hier hatten – in einigen Ländern wie Kuba und China muss man sagen: haben – Zeitungen, Fernsehen und Rundfunk in der Tat nur die eine Aufgabe und das eine Ziel: die Menschen zu manipulieren, die Wahrheit zugunsten der Ideologie zu unterdrücken.
Es ist nicht nur, aber auch das Verdienst der freiheitlichen Medien, dass in den Ländern hinter dem Eisernen Vorhang die Sehnsucht nach Freiheit den Sieg über die Unterdrückung und die Bevormundung davontragen konnte. Nicht ohne Grund versuchen autoritäre Regimes wie die Mullahs in Iran Parabolantennen zu verbieten, weil sie wissen, dass sie die Herrschaft über die Menschen verlieren, wenn ihnen die Kontrolle über die Medien entgleitet.
Ich erinnere mich gut an einen Termin aus meiner Bonner Zeit, bei dem der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher eine hochrangige chinesische Delegation empfing. Drängend redete er auf seine Gäste ein, die Öffnungspolitik voranzutreiben – mit dem Argument, dass mit dem Fortschreiten der neuen Informationstechnologien die Abschottung ohnehin nicht mehr aufrecht zu erhalten sei. Es gehe nicht mehr darum, die Öffnung zu verhindern, sondern nur noch darum, sie zu steuern. Nun versucht die chinesische Regierung, das Internet zu überwachen – ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen. Und es ist gut, dass es zum Scheitern verurteilt ist.
Was wir bei uns auf dem Medienmarkt erleben, ist ein beinharter Wettbewerb. Und dieser ist ein Wesensmerkmal der Freiheit und der Demokratie. Das sollten wir niemals vergessen. Wir können auswählen, was wir lesen, hören, sehen wollen, wie wir uns unterhalten lassen und uns informieren wollen. Der Zustand, den wir jetzt beklagen, ist das Ergebnis einer Politik, die gerade darauf ausgerichtet war, die Freiheit durch eine Vielfalt der Information zu sichern und auszubauen.
Lassen Sie uns einen ganz kurzen Blick in die Vergangenheit werfen. Es ja sind stets treibende Kräfte, Wille und Absichten erforderlich, um solche Entwicklungen anzustoßen, und es ist wichtig, ihnen nachzuspüren. Bei der Einführung des privaten Hörfunks und Fernsehens trafen sich politische und unternehmerische Interessen. Die Medienkonzerne und die werbungstreibende Industrie hatten einerseits das gewaltige neue Marktpotential im Blick, das sich ihnen da bot. Die damalige christlich-liberale Bundesregierung unter Helmut Kohl war dringend daran interessiert, ein Gegengewicht zu den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten zu etablieren, die ihr zu links waren.
Wie sich die Debatte doch ähnelt und immer wiederholt: Schon bei der Gründung des ZDF stand die Absicht Pate, das politische Spektrum durch Wettbewerb besser auszutarieren. Bei der Einführung des Privatfunks lautete das Hauptargument wiederum, der „Rotfunk“ manipuliere die Wähler, darum müsse durch ein kommerziell orientiertes Angebot die Meinungsvielfalt im elektronischen Bereich wieder hergestellt werden.
Und nun kommt auch noch das schier unerschöpfliche Internet-Potential hinzu, das mit einem Schlag und voller Wucht in unsere Häuser drängt. Auch dahinter steckt selbstverständlich wiederum ein Wille: Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs verlor das World Wide Web der US-Armee zumindest teilweise seine Exklusiv-Funktion, jedenfalls war es überdimensioniert.
Es basierte auf einer grundlegend anderen Idee als das Telefonnetz, das mit festen Relaisstationen arbeitet. Durch Computerleistung wurde sichergestellt, dass eine Information im Falle eines Angriffs auf die Netzinfrastruktur dennoch seinen Weg von A nach B findet, wenn auch nur irgendeine Verbindung besteht. Die Information sucht sich ihren Weg. Das heißt: Wenn ich eine Mitteilung von Handrup nach Lengerich schicken will und die direkte Leitung unterbrochen ist, läuft die Nachricht im Zweifel rund um die Erde, von Nord nach Süd und zurück, sogar noch durch das Weltall, aber sie wird alles tun, um ihr Ziel zu erreichen.
Dieses System ist so genial, dass es geradezu nach weiterer Nutzung drängte. Es überspringt praktisch alle Barrieren, die der Kommunikation bis dahin im Wege standen. Es ist geradezu darauf angelegt, politische oder geografischen Grenzen zu ignorieren. Zum anderen bietet die neue Technologie so viel Speicher- und Verarbeitungskapazität, dass die Verfügbarkeit des Wissens ebenfalls praktisch unbegrenzt ist. Ich meine schon, dass dieser Erfindung eine ähnliche Bedeutung zukommen wird wie der Erfindung des Buchdrucks.
Ist es nicht ein absolut positives Zeichen, dass das Ende des Kalten Krieges zugleich ein Kommunikationsnetz hervorbrachte, das die Welt enger zusammen spannt als jemals zuvor? Merkmal des Kalten Krieges war die Trennung, die Welt war zerschnitten. Und nun gebiert der Zusammenfall dieser Weltordnung zugleich ein Mittel, nicht nur dieses Trennende aufzuheben, sondern die Vorstellung vom globalen Dorf Wirklichkeit werden zu lassen. Bei allem schädlichen Nebenwirkungen und Missbrauchsmöglichkeiten: Es muss doch festgehalten werden, dass der leitende Wille, der hinter der Gestaltung der Medienlandschaft, von humanen, demokratischen, freiheitlichen Werten getragen wird.
Dennoch bleibt als Tatsache bestehen: Der Wettbewerb führt zu jener Vielzahl an Angeboten, die uns oftmals über den Kopf zu wachsen scheint. Schauen wir uns die Situation einmal genauer an: Das Bestreben der Macher besteht in der Regel nicht darin, ihre Kunden zu indoktrinieren und manipulieren, sondern es ist viel einfacher gestrickt: Sie wollen ihren Kunden genau das geben, was diese von ihnen erwarten. Sie sind auf der Jagd nach Abnehmern ihrer Ware.
Was wir erleben, ist, dass der Wettbewerb zu einer bisher ungekannten Ausdifferenzierung führt. Der Vorteil ist: Anstatt Einheitsbrei konsumieren zu müssen, kann jeder alles nach seinem individuellen Geschmack aussuchen. Das gilt auch für den Medienmarkt. Wir haben so gute Fernseh- und Rundfunkangebote wie nie zuvor. Ich erinnere an die Spartenkanäle für Kultur und Politik, Arte und Phoenix. Sie sind Ergebnis der Ausdifferenzierung. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten bieten, obwohl sie nach ihrem Auftrag nur die Grundversorgung sicherzustellen haben, nicht nur ein oder zwei, sondern bis zu sechs Rundfunkprogramme an, für jeden Geschmack etwas, und dazu ein sehr weitgehend aufgefächertes Fernsehangebot.
Auch die Zeitungslandschaft verändert sich ähnlich. Schauen Sie nur einmal in die Kioske an größeren Bahnhöfen oder in Flughäfen. Sie finden ein maßgeschneidertes Angebot für jedes Interesse, jeden Geschmack, jedes Niveau. Sobald sich eine Marktlücke öffnet, wird sie auch schon besetzt. Und viele – alte wie neue – Produkte bleiben bei der Marktauslese immer wieder auf der Strecke.
Ich weiß aus eigener leidvoller Erfahrung aus meiner Tätigkeit bei der Wochenzeitung „Rheinischer Merkur“, wie schwierig es ist, dort überhaupt einen Auslegeplatz zu erobern. Es wird im wahrsten Sinne des Wortes um jeden Millimeter gekämpft. Und Ausgabe für Ausgabe neu entscheiden die Umsatzzahlen, wer sich wo präsentieren darf – und ob überhaupt.
Erlauben Sie mir einen Blick auf unsere Region und die Zeitung, für die ich tätig bin. Von der sogenannten Monopolstellung, die sie einmal genoss, ist nicht viel übrig geblieben, und damit ist der oft gehegte Argwohn, hier werde infiltriert, weitgehend obsolet geworden. In der Meinungsbildung gibt es kein Monopol. Für den überregionalen Teil traf der Monopolvorwurf ohnehin niemals zu.
Wir konkurrieren nicht nur mit Funk und Fernsehen, sondern auch mit den überregionalen und benachbarten regionalen Tageszeitungen. Und Sie können mir glauben: Die Auflage von „FAZ“ über „Frankfurter Rundschau“ bis zu „Bild“ in unserem Verbreitungsgebiet ist nicht gering. Wir müssen Ihnen eine Zeitung liefern, die mit diesen Publikationen mithalten kann.
Im Lokalen gelten etwas andere Bedingungen: Hier hat die Zeitung eine ausgesprochen starke Stellung, schlicht deswegen, weil ein Wettbewerb mehrerer Lokalzeitungen angesichts der dünnen Besiedlung des Raumes und der Begrenztheit des Werbemarktes nicht zu führen wäre. Darum muss hier das Prinzip der inneren Vielfalt gelten.
Das gebietet sich für die Redaktion schon aus dem wichtigsten Grund, den man sich denken kann, der Sicherung der eigenen Existenz. Gemeinsames Ziel der Redaktion wie der Verlagsleitung muss es sein, einen hundertprozentigen Marktanteil im Verbreitungsgebiet zu erreichen. Dies ist aber gewiss nicht möglich, wenn ich zugleich versuche, mein Publikum zu indoktrinieren, sondern nur, wenn ich mich bemühe, alle Strömungen gleichermaßen zu bedienen. Jeder muss sich in seiner Zeitung wiederfinden.
Dennoch gilt auch hier: Kaum jemand informiert sich nur aus einer Quelle. Es gibt lokalen Rundfunk, Gemeindeblätter, und auch die großen Sender wie der NDR dringen immer weiter in die regionale und sogar lokale Berichterstattung vor.
Ich sage immer wieder: Unser Ziel ist nicht, unsere Leser zu beeinflussen, gar zu manipulieren, sondern dazu beizutragen, dass sie ihre Rechte und Pflichten als mündige Bürger wahrzunehmen. Unsere Kommentare sollen zum Nachdenken anregen – und das bedeutet dann ja auch: zum Widerspruch anregen. Wichtig ist, dem Leser zu helfen, eine klare Position zu beziehen – einerlei, welche es am Ende sein mag.
Die britische „Times“ ist einmal mit einer Werbekampagne Kampagne berühmt geworden, die eigentlich das Ideal der meisten Journalisten auf den Punkt bringt. Die Plakate auf Bahnhöfen und Flughäfen zeigten Strichzeichnungen, die markante politische und gesellschaftliche Ereignisse darstellten. Unter den Plakaten waren Kästen mit Buntstiften angebracht. Und über allem ragte der sinngemäße Slogan: Wir liefern Ihnen eine möglichst präzise Beschreibung der Wirklichkeit. Das Einfärben müssen Sie schon selbst besorgen.
Und ebenso wichtig ist unser aller Ziel: Leser, Hörer, Zuschauer zu halten und möglichst neue hinzu zu gewinnen. Die Quoten- und Auflagenstatistiken werden verfolgt wie die Fieberkurve eines Kranken. Sobald es irgendwo Einbrüche gibt, muss darauf reagiert werden. Darum ist nicht die erste Frage, welche Zeitung oder welches Rundfunk- oder Hörfunkprogramm wir Journalisten gerne machen würden, sondern welche Zeitung wir machen müssen, damit Sie sie uns abkaufen. Die Medien sind ihren Kunden zu Willen.
Grundsätzlich lässt sich darum auch überhaupt nicht verhindern, dass die Ausdifferenzierung nicht nur nach oben – also in Richtung Qualitätsverbesserung – verläuft, sondern sich ebenso in Richtung Niveaulosigkeit, Emotionalisierung, Befriedigung der Sensationslust verläuft.
„Neugier als Laster und Tugend“ heißt einer der grundlegenden, schon etwas älteren kommunikationswissenschaftlichen Aufsätze. Diese Ambivalenz werden wie niemals abschütteln können, müssen uns aber bemühen, sie immer wieder neu auszutarieren. Die Journalisten als Sachwalter der Neugier haben es stets mit beiden Seiten dieser einen Medaille zu tun. Wir sind nicht nur dazu da, Ihnen den allerneuesten Erkenntnisgewinn zu liefern, sondern auch den Stoff für das ganz alltägliche Gespräch, den Tratsch. Ich werde darauf später noch zu sprechen kommen.
Lassen sie mich aber zunächst die Frage „Haben uns die Medien im Griff“ noch von einer anderen Seite her aufgreifen. Politisch sind die Journalisten und die Medien freier und unabhängiger als sie jemals zuvor waren, sie haben sich emanzipiert. Die Zeiten der parteiengebundenen Presse sind vorbei, die Einflussnahme der Politik auf die Medien schwindet. Die großen Zeitungen lassen sich zwar nach ihrer Grundströmung einordnen, nicht aber mehr für die eine oder andere Partei einspannen. Und gerade dies würde ich nach all den heißen Debatten der sechziger, siebziger und achtziger Jahre und all den Verdächtigungen, denen die Medien seinerzeit _ zu Recht oder zu Unrecht _ ausgesetzt waren, als riesigen Fortschritt bezeichnen
Die „Welt“ kritisiert die CDU absolut selbstbewusst, wenn sie dieses für notwendig erachtet, und schont die Partei keineswegs, nur weil ihr eine gewisse Nähe dorthin nachgesagt wird. Umgekehrt ist die linke „Frankfurter Rundschau“ eine der schärfsten Kritiker dieser rotgrünen Koalition und dabei alles andere als zimperlich. Uns würden die Leser einen Ton, wie er dort manchmal angeschlagen wird, übel nehmen. Auch das Fernsehen konnte sich dank der neuen Programmvielfalt ein ganzes Stück weit von der politischen Einflussnahme befreien.
Unbestritten ist es so, dass über das Fernsehen Wahlen gewonnen oder verloren werden. Elisabeth Noelle-Neumannn hat die Funktionsweisen mit dem wichtigen Modell der „Schweigespirale“ sehr genau herausgearbeitet und beschrieben. Dennoch ist es auch wiederum falsch anzunehmen, die Präferenzen der Medienleute würden sich direkt in Wähler-Mehrheiten niederschlagen, die Fernsehleute könnten sich also den nächsten Kanzler praktisch aussuchen. Die 16 Kanzlerjahre Helmut Kohls belegen genau das Gegenteil. Er war nie ein Freund der Medien und die Medien mochten ihn nicht sonderlich. Und doch hat er fünf Wahlen nacheinander gewonnen.
Dass die Politik nicht mit den Medien zufrieden ist, hängt gewiss auch mit der Politik selbst zusammen. Natürlich ist der Ton härter geworden. Der Wettbewerb wird ja nicht nur um die Leser geführt, sondern auch um die Nachrichten, mit denen wir unsere Leser beeindrucken wollen, um ihnen zu beweisen, dass es richtig ist, unser Produkt zu kaufen. Daher wird die Politik jetzt deutlich stärker von den Medien kontrolliert. Es ist kein Zufall, dass die Aufklärung der jüngsten Skandale sehr stark von den Medien vorangetrieben wurde. Und dass es dabei auch zu Übertreibungen und Fehlinformationen kommt, ist ebenfalls unbestritten.
Aber niemand wird behaupten, dass die Skandale Medieninszenierungen sind. Dieses Thema allein würde eine ganzen Abend füllen. Denn hier werden auch sehr stark unter dem Deckmantel der Anonymität Rivalitäten zwischen und noch mehr innerhalb der Parteien über die Medien ausgetragen. Nicht, dass die Rivalitäten generell stärker geworden sind. Sie werden nur stärker auf der offenen Bühne ausgetragen. Und im Zweifel trifft dann die Verdammnis – wie ich es schon im griechisch-Unterricht bei Herrn Hörnschemeyer gelernt habe – den Boten, der die schlechte Nachricht überbringt, aber nicht denjenigen, der für die schlechte Nachricht verantwortlich ist.
Diese Wächterfunktion der Medien ist gegenwärtig Gegenstand heißer Debatten innerhalb unserer Zunft. Der überwiegende Teil der Kollegen, die sich zu Wort melden wie auch der Politikwissenschaftler ist der Auffassung, dass die Aufmerksamkeit der Medien die Selbstreinigung der CDU wenn nicht erst ermöglicht, so doch erheblich beschleunigt hat. Es gibt aber auch zahlreiche selbstkritische Kommentare, die dem Eindruck, den manche Politiker zu verbreiten suchen, nämlich sie seien uns praktisch wie Freiwild ausgeliefert, vollständig widersprechen.
Zum einen hat sich beim Parteispendenskandal erwiesen, wie schmal die personelle Basis des investigativen Journalismus in Deutschland ist. Die Kollegen, die sich wirklich ernsthaft um die Aufklärung einer Affäre wie der bei der CDU kümmern können, lassen sich an zwei Händen auflisten. Es sind lediglich die großen Tageszeitungen und die Magazine wie „Spiegel“ und „Focus“, die diese Aufgabe in ihrer vollen Dimension wirtschaftlich stemmen können.
Wenn Sie so etwas betreiben wollen, müssen sie nicht nur die personellen Ressourcen dafür vorhalten _ und diese Kollegen sind schon recht teuer _, viel stärker schlägt das presserechtliche Risiko zu Buche, in Prozesse verwickelt zu werden mit unkalkulierbarem Ausgang. Praktisch muss den entspechenden Kollegen ein mindestens ebenso starker iuristischer Apparat an die Seite gestellt werden.
So gibt es die nicht unbegründete Meinung _ auch ganz seriöser und konservativer _ also der Union nahestehender Politologen, Kommunikationswissenschaftler und Sozialwissenschaftler, die als Resümee aus der Affäre ziehen, es sei von den Medien nicht zu viel, sondern eher zu wenig aufgeklärt worden. Die Hauptarbeit habe die CDU unter Wolfgang Schäuble und Angela Merkelselbst geleistet.
Und selbstkritisch müssen wir Journalisten uns eingestehen, dass es trotz mancher Indizien uns nicht früher gelungen ist, dem System der Schwarzgeld- und Anderkonten auf die Spur zu kommen. Erst als Helmut Kohl die Machtinstrumente entzogen waren, gelang es, in diesen abgeschotteten Bereich einzudringen. Ängstlich stellen wir uns alle miteinander die Frage: Könnte es sein, dass wir gegenüber der Schröder-Regierung noch einmal so versagen?
Es zeigt auch, wie sehr wir doch über feingesponnene Drähte von den Schaltstellen der Politik abhängen. Es wird Gunst gewährt und entzogen. Oft steht ein großer bürokratischer Apparat journalistischen Einzelkämpfern gegenüber. Der Eindruck der Masse, der bei dreieinhalb tausend in Berlin akkreditierten Journalisten entsteht, täuscht insofern. Hier handelt es sich ja durchweg nicht um Teams, sondern um Kollegen, die mehr oder weniger einzeln für ihre jeweiligen Auftraggeber arbeiten.
Und vor allem fehlt uns oft genug die Ausdauer für eine intensive Langfrist-Beobachtung. Nun, da das öffentliche Interesse an der CDU-Affäre nachlässt, lässt auch die Beobachtungs-Intensität der Medien nach. Das hat zur Folge, dass durchaus nachträglich noch politische und juristische Legenden aufgebaut werden könnten, ohne dass wir es bemerken. Dieser Spotlihght-Journalismus macht doch recht kurzsichtig und gibt stets nur ein sehr enges Blickfeld frei.
All dies sind kritische Fragen, die schon aufkommen, wenn wir uns das hohe Niveau der Medienwirklichkeit anscheuen. Zum Wettbewerb gehört aber auch – und das darf nicht verschwiegen werden _ eine Ausdifferenzierung nach unten. Ein Teil der Medien wird immer niveauloser. Diese Niveau-Absenkung ist eines der größten Probleme der Medienwirklichkeit. Hier versagt oft genug das Berufsethos, weil die Anbieter von „big brother“, Gewalt und pornografischen Darstellungen einzig und allein auf die Quoten schauen und nicht auf die Auswirkungen, die von ihrem schmutzigen Geschäft ausgehen.
Die Liberalität wird zur Libertinage. Der Wettbewerb artet aus und wird darum in Zukunft wieder stärker gezügelt werden müssen. Es ist ja gerade das Kennzeichen der Sozialen Marktwirtschaft, dass sie dem Markt dort Grenzen setzt, wo er sich gegen die Menschen und die Gemeinschaft selbst richtet. Ich bin sicher, dass wir früher oder später eine medienpolitische Debatte in diesem Sinne bekommen.
Wir brauchen aber nicht einmal so tief absinken und uns über die Schmuddelsender zu erregen. Insgesamt besteht in den Medien die Neigung zur Emotionalisierung, Dramatisierung, Zuspitzung, Übertreibung und damit zur Verzerrung der Wirklichkeit. Dies Teil des Kampfes um jeden Leser, jeden Hörer, jeden Zuschauer. Wir kennen das aus der Markenartikelwerbung, etwa beim Bier oder bei Zigaretten.
Wenn sich Produkte beinahe gar nicht unterscheiden, sie aber dennoch als einzigartig dargestellt werden müssen, um sie von der Konkurrenz abzuheben, bedient man sich der emotionalen Aufladung. Bei Becks-Bier spürt man dann die Weite und das Abenteuer des Meeres auf einem alten Segelschiff, bei Jever die friesisch-herbe Landschaft, bei Königs-Pilsener fühlt man sich wie ein König. Und doch ist alles nur Bier. Medien, die ebenfalls alle mehr oder weniger dasselbe zu verkaufen haben, bedienen sich des gleichen Instruments. Da wird ein Mord zur Blutorgie oder Franzi von Almsiek als Franzi von Speck verhöhnt, weil sie die Erwartungen auf der Olympiade nicht erfüllt. Und hier wird es gefährlich.
Eine andere Methode ist die Exklusiv-Stories zu generieren. Es gibt Zeitungen, die täglich mindestens eine Geschichte im Blatt stehen haben wollen, die andere nicht haben. Dies ist gar nicht so leicht, weil der Medienmarkt absolut dicht besetzt ist. Wir selber mischen mit unseren Exklusiv-Interviews in diesem Geschäft mit, und ich weiß, wovon ich rede. Es ist leicht in dieser geschwätzigen Welt, Interview-Partner zu finden, aber schwer, solche zu finden, die etwas zu sagen haben, das möglichst wiederum seinen Niederschlag in den anderen Medien findet.
Ich nehme für uns in Anspruch, absolut sauber und zuverlässig zu arbeiten. Aber es gibt genügend Beispiele dafür, dass Nachrichten in die Welt gesetzt werden nach dem Motto: Wenn es nicht stimmt, kann der Betroffene es ja dementieren, dann ist es wiederum eine Nachricht. Oder diese unseriöse Art des „Borderline“-Journalismus, wo erfundene Geschichten und Interviews als wahr verkauft werden sollen, nach der Devise: Nichts ist wahrer als die Dichtung. Hier finden viele Verfehlungen statt.
Es gibt aber auch die Verzerrung der Wirklichkeit in einer anderen Richtung, nämlich der Verharmlosung. Auch dies wird unter uns ununterbrochen heiß diskutiert: Was können wir unseren Lesern, Hörern, Zuschauern noch zumuten? Die Grausamkeit und Perversion in den Kriegen unserer Tage ist unvorstellbar. Dürfen wir alle Bilddokumente, alle Reportagen bringen oder kommen wir dabei schon in die Gefahr, niedere Instinkte zu befriedigen?
Ein simples Beispiel: Während der Aufstände in Indonesien kam es teilweise zu blutigen Gemetzeln. Da zeigte das öffentlich-rechtliche Fernsehen siegestrunkene Milizionäre, die mit abgehackten Köpfen und den blutenden Herzen, die sie ihren massakrierten Opfern herausgeschnitten hatten, im Triumphzug durch die Straßen fuhren. Die Bilder liefen auch über die Agenturdienste. Können wir so etwas bringen? Wir in unserer Redaktion waren geradezu entsetzt über diese Art der Berichterstattung und haben sie zum Anlass für eine Umfrage unter den Rundfunk- und Fernsehräten genommen _ also den von den relevanten gesellschaftlichen Gruppen bestellten Kontrolleuren unserer Medien. Diejenigen, die Anstoß an den Bildern nahmen, waren in einer verschwindend geringen Minderheit.
Ein anderes Beispiel: Gottseidank sind wir in Deutschland noch davon verschont geblieben, aber immerhin wäre es denkbar, dass auch hier Menschen oder Menschengruppen an den öffentlichen Pranger gestellt und zur Verfolgung freigegeben werden, wie es in England und Belgien gegenüber Leuten geschah, die im Verdacht der Pädophilie standen.
Was kann getan werden, um diese Auswüchse in den Griff zu bekommen?
An erster Stelle steht die Selbstkontrolle, und ich denke, sie funktioniert weitgehend. Sie verhindert zwar nicht, dass immer wieder neue Fehler vorkommen, aber sie sorgt dafür, dass die Fehler benannt und häufiger auch geächtet werden. Die Medien kritisieren sich selbst recht stark. Es ist keineswegs so, dass dort keine Krähe der anderen ein Auge aushackt. Wir haben einen Presserat, an den sich jeder wenden kann. Und er wird nicht gerade selten angerufen. Der Presserat kann zwar keine Strafen und Sanktionen verhängen, aber seine Mahnungen haben doch erhebliches Gewicht. Das muss auch auf die Sparten ausgedehnt werden, die der Grauzone des Infotainment zuzuordnen sind.
Wir haben auch ein recht ausgewogenes Presserecht, das den Individualschutz ebenso garantiert wie die Freiheit der Berichterstattung. Im Bereich von Privatfunk und -fernsehen gibt es leider die Tendenz, die Grenzen der Geschmacklosigkeit und der ethischen Tabus immer weiter nach außen zu verschieben. Hier, meine ich, müssten die Landesmedienanstalten weiter gestärkt werden. Dieser Kampf darf nicht nur juristisch, er muss gesellschaftlich und politisch geführt werden. Wir wissen ja, dass das Spiel zwischen manchen Privatsendern und den Landesmedienanstalten stark dem Wettlauf zwischen Hase und Igel gleicht.
Daher müssen zweitens die Anbieter selbst stärker in die Mithaftung für das genommen werden, was sie anrichten. So wie die Zigarettenfirmen verpflichtet sind, deutlich auf ihre Packungen zu schreiben, dass Rauchen der Gesundheit schadet, müssen auch die Gefahren bestimmter Medieninhalte angezeigt werden, wenn sie denn schon nicht zu verbieten sind in einer freiheitlichen Medienlandschaft. Das Prinzip der Nachhaltigkeit muss auch hier Platz finden.
Alles, was nachhaltig die Menschenwürde verletzt, muss zurückgedrängt werden. Für mich ist – um bei diesem Beispiel zu bleiben – die angestrebte Selbstverpflichtung der Zigarettenindustrie modellhaft, von sich aus die Initiative zu ergreifen, die Jugendliche vor dem Konsum ihrer Produkte bewahrt. Sender, die Schund anbieten, müssen viel stärker zur Verantwortung gezogen werden. Dies wird kaum auf dem Gesetzeswege gelingen.
Das dritte ist die Berufsausbildung. Man muss _ glaube ich _ anerkennen, dass sich die Ausbildungsqualität und das Anforderungsprofil, das an Journalisten gestellt wird, erheblich verbessert hat. Derzeit haben wir aber auch das Problem – und das betrifft wiederum insbesondere die elektronischen Medien _, dass angesichts des Booms ein Mangel herrscht an qualifiziertem Nachwuchs. Da werden viele Mitarbeiter mit Schmalspurausbildung beschäftigt; teilweise werden die Kollegen, insbesondere die sogenannten „freien Mitarbeiter“ – auch „ausgebeutet“ und lassen sich schon aus Gründen der Existenzsicherung zu fragwürdigen Praktiken hinreißen.
An vierter und keineswegs letzter Stelle steht die Medienerziehung. Von frühester Kindheit an werden die Menschen mittlerweile mit der Medienwelt konfrontiert. Sie müssen wissen, was sie davon erwarten können und was nicht. Wir erleben sehr häufig die Illusion, dass die Darstellung für die Wirklichkeit genommen wird. Die täglichen Soap Operas, die Talkshows, das Schlagerangebot – all das nimmt Einfluss auf das Bewusstsein und ist doch letzten Endes nichts anderes als ein Konsumprodukt wie eine Tafel Schokolade.
Ja, ich sehe eine Gefahr, dass die Medien uns in den Griff nehmen – und zwar hier, wo sich unerkenntlich Kommerz und Inhalt vermählen. Wenn große Konzerne wie Bertelsmann die Fernsehanstalten, Zeitschriften und Zeitungen vor allem dazu benutzen, den eigenen Umsatz zu steigern. Hier besteht auch eine große Gefahr für die Unabhängigkeit der Redaktionen. Nehmen wir ein simples Beispiel: Wenn unter einer Buchbesprechung der Link angegeben wird, wie der rezensierte Titel leicht per Internet zu bestellen ist: Wird da nicht schon die Schere im Kopf betätig, vor der wir Journalisten uns so sehr fürchten?
Das andere ist, dass viele Medien jeder Zeitgeistströmung nachjagen in der Notwendigkeit, ihren Abnehmern immer wieder Neues bieten zu müssen. Sicherlich besteht die journalistische Aufgabe darin, seine Abnehmer mit den neuesten Nachrichten zu versorgen. Doch er hat auch die Aufgabe des Gewichtens und Bewertens. Und die kommt oftmals zu kurz, ja: Um der Verkaufe willen bekommt jede neue Strömung den Touch des Positiven, Guten.
Trendscouts sind in aller Welt unterwegs, um den jeweils letzten Schrei zu finden. Dies führt zu einer Beliebigkeit, zur Unfähigkeit, Sinn von Unsinn, Gutes von Schlechtem zu unterscheiden. Ja, es führt zu einer perspektivischen Verzerrung: Schlechtes erhält ein positives Image. Darüber macht sich aber das Medien im Bestreben, dem Leser, Hörer, Zuschauer zu bieten, was er haben will, keine Gedanken. Auch hierfür brauchen wir eine verstärkte Medienerziehung, eine Verbraucher-Aufklärung im weitesten Sinne. Die Wirkungsforschung der Medien muss in diesem Sinne noch verstärkt werden. Und ich würde mir eine ähnliche Qualitätsinstanz für Medienprodukte wünschen wie es sie für Waren und Dienstleistungen mit der Stiftung Warentest gibt.
Lassen Sie mich meine These: Nicht die Medien haben uns im Griff, sondern die Medien sind ihren Nutzern zu Willen _ und zwar zu stark zu Willen _ noch von einer letzten Perspektive aus beleuchten, die sozusagen die Unzufriedenheit der Medien mit Ihnen, unserem Publikum, ins Auge fasst. Ja, die Medien müssen die Gefahr im Blick haben, dass wir unseren Verfassungsauftrag, an der Mündigkeit und Urteilsfähigkeit der Bürger mitzuwirken, vernachlässigen aus Sorge, unsere Leser zu überfordern.
Wir Journalisten genießen ja nicht deswegen den besonderen Schutz des Grundgesetzes, um unserer Eitelkeit durch Selbstdarstellung zu befriedigen, ebenso wenig wie die Verleger und Konzernmanager darin ein Privileg für besonders lukrative Geschäfte sehen dürfen. Sondern die Freiheiten, die wir genießen dienen dem Zweck, dass die Demokratie funktioniert. Hier sehe ich einige „blinde Flecken“.
Das Rezeptionsverhalten macht uns zunehmend Probleme. Wir müssen Ihnen natürlich eine Zeitung _ oder das Fernsehen ein Fernsehprogramm _ liefern, das Ihren Lese, Seh- und Hörgewohnheiten entspricht. Eine Zeitung, die nicht gelesen wird, ist keine Zeitung, sondern nur ein bedrucktes Blatt Papier. Doch es gelingt uns mit vielen wichtigen Themen nicht mehr, sie in angemessener Weise zu transportieren, denn so komplizierte Fragen wie die Europapolitik, über die Hans-Gerd Pöttering vor Ihnen gesprochen hat, lassen sich oft nicht in 80 Zeilen oder 90 Sekunden darstellen.
So kommt eine Debatte über so wichtige Zukunftsfragen wie die Erweiterung der Gemeinschaft und ihre innere Reformen gar nicht wirklich in Gang. Die Bürger haben einfach abgeschaltet. Als Politiker redet man oft genug gegen eine Wand. Die Medien setzen das Thema ab, weil sich damit _ wie es so schön heißt _ kein Hund hinter dem Ofen hervorlocken lässt. Das gilt auch für die Fragen der Bio- und Gentechnologie, die in anderen Ländern weit intensiver diskutiert werden. Es muss schon ein amerikanischer Darwinist kommen, der schon eine vorgeburtliche Selektion in lebenswert und nichtlebenswert propagiert, um eine schwache Debatte in Gang zu bringen. Doch selbst die fiel binnen kurzem wieder zusammen.
Ich will jetzt nicht einem Ende der Vergangenheitsdebatte das Wort reden. Doch wenn ich mir die Proportionen anschaue, die die Aufarbeitung des Nationalsozialismus einnimmt in Relation zu Fragen der Gestaltung des 21. Jahrhunderts, dann wird mir offen gestanden ein wenig bange. Man muss gar nicht diesen ideologisch belasteten Vergleich anstellen: Wenn wir um die Zukunft der Berufsausbildung, um die Verbesserung der schulischen Qualität, um die Reform der Hochschulen genau so ringen würden wie um die Rentenreform, dann wäre mir wohler.
Ja, wir Medienleute müssen uns auch wohl den Vorwurf gefallen lassen, dass wir dazu beitragen, die Bürger zu entwöhnen. Der Happen-Journalismus führt dazu, dass die intensive argumentative Auseinandersetzung leidet. Es kann nicht mehr zu Ende gedacht werden. Brüche in der Argumentation werden oftmals nicht einmal mehr wahr genommen, weil alles wie in einem Patchwork neben einander steht. Das Schlagwort ist wichtiger als die Substanz. Doch haben wir auch festgestellt, dass die Leser, Zuhörer, Zuschauer abschalten, wenn man sie mit längeren Gedankenketten quält. Der Spruch: Du kannst über alles reden, nur nicht über zehn Minuten, ist ja für uns schon längst überholt. Wir wie auch die Politiker sollen die kompliziertesten Dinge dieser Welt in wenigen Zeilen auf den Punkt bringen. Das ist oft nicht möglich, und darum fallen bestimmte Themen mehr und mehr unter den Tisch, weil sie „nicht vermittelbar“ sind.
Und in dieser Situation gibt es den Ruf nach einer verstärkten „direkten Demokratie“. So viel Sympathie ich für diese Bestrebungen habe _ zumal nach der friedlichen Revolution, mit der sich die Menschen in der DDR ihre Freiheit erkämpft haben, so große Bedenken habe ich doch, ob die Wahlbürger willens und in der Lage sind, über kompliziertere Vorgänge – wie etwa der EU-Erweiterung – begründet abzustimmen.
Die „bilnden Flecken“ betreffen zum Beispiel mehr und mehr auch die Berichterstattung über die Kirchen. Man kann immer weniger voraussetzen, was man eigentlich voraussetzen müsste. Dieses Dilemma habe ich zuletzt im Bezug auf die Erklärung „Dominus Jesus“ verspürt, also die Erklärung der Glaubenskongregation über das Verhältnis der Religionen zueinander. Man müsste so viel erläutern _ bis hinunter zum „kleinen Katechismus“ _, dass man das Publikum damit wiederum abstoßen würde. Und diese Tendenz wird immer schwieriger, weil das religiöse Basiswissen in dramatischer Weise abschmilzt. Das wird zwangsläufig zur Folge haben, das diese Themen in der Berichterstattung immer weniger vorkommen und wir als Medien auf „handgreifliche“ Themen, zumeist soziale Themen ausweichen. Doch dies ist ja nur ein Teil und dabei eigentlich auch nicht der wesentliche Teil der Kirchen-Wirklichkeit. Noelle-Neumanns „Schweigespirale“ setzt sich hier in einer ganz anderen und neuen Dimension, als sie es beschrieben hat, in Gang.
Ja, es wird immer weniger verstanden, dass Politik harte Arbeit ist, wenn sie in der Form des Infotainments verkauft wird. Jeder Politiker muss immer lächeln und frisch aussehen, als ob er gerade der Dusche entsprungen wäre, Diskussionsveranstaltungen brauchen einen Fun-Factor, damit die Bürger ihnen folgen. Guido Westerwelle kriecht in den „Big-Brother-Container“, um über den Rechtsextremismus zu diskutieren, und wundert sich, dass seine Mitdiskutanten sich lediglich an dem mitgebrachten Rotwein interessiert sind. Dies hat eine Entwertung der Politik zur Folge Dass die Bürger – zu Unrecht – die Politiker für überbezahlt halten, muss auch vor diesem Hintergrund gesehen werden.
Deutschland als Exportland Nummer eins ist von der Weltpolitik und Weltwirtschaft abhängig wie kein anderes Land. Und doch nimmt das Interesse an derartigen Informationen ab. Wir nehmen die Welt in einer Art Autismus, einer provinziellen Globalität wahr. Nach diesem Prinzip funktionieren die Traumschiff-Soap-operas im Fernsehen. Das Interesse an Reiseseiten, also an touristischen Erlebnis-Erläuterungen nimmt zu, das Interesse an den Ländern selbst, ihrer Kultur, ihren Eigenheiten oder gar ihren Problemen nimmt ab. Interesse bedeutet ja „Dazwischen sein“, sich in etwas hineinbegeben. Das typische Rezipienten-Verhalten aber ist ein anderes: Konsum. Wir konsumieren fremde Länder. Je mehr Genuss, desto besser. Das hat zur Folge, dass außenpolitische Berichterstattung in unseren Medien erheblich zurückgedrängt wird. Ich halte diese Entwicklung für bedenklich.
Deutlich wird dies immer wieder auch bei der Katasprophen-Berichterstattung. Die Spendenbereitschaft der Deutschen hängt davon ab, dass sie zuvor mit den entsprechenden Elendsbildern gefüttert wird. Sobald aber die Scheinwerfer abgeschaltet sind, erlischt auch die Bereitschaft zur Hilfe.
Meine Damen und Herren,
ich hoffe nur, ich habe nicht zuviel geklagt und nicht zu schwarz gemalt trotz meiner entschiedenen Behauptung, dass die Medien Sie und uns nicht im Griff haben und diese Gefahr auch nicht so leicht besteht, solange es diese Vielfalt gibt, die manchem von uns wiederum zum Problem wird, aber prinzipiell doch äußerst positiv ist. Ich sprach eingangs davon, dass die Medien zur Schlüsselbranche aufsteigen. Gerade diese Branchen neigen zur Oligopolisierung. Hier sehe ich langfristig eine gewisse Gefahr. Derzeit aber ist die Branche sehr stark mittelständisch geprägt, und das ist nur gut.
In der Summe bin ich davon überzeugt, dass Deutschland über ein Medienangebot verfügt, das den höchsten Maßstäben in historischer Sicht wie auch im weltweiten Vergleich standhält. Machen Sie sich selbst und dann Ihren Schülern und Kindern immer wieder klar, welche Macht sie als Verbraucher haben. Dadurch, dass Sie eine Zeitung kaufen, ein Programm abschalten oder umschalten, bestimmen Sie Tag für Tag über die Qualität der Medien mit.
Sie machen sich _so glaube ich _keine Vorstellung davon, wie stark auch kleine Abweichungen bereits registriert werden. Hinzu kommt, dass Sie als Verbraucher sich durchaus äußern können. Leserbriefe, Anrufe in den Redaktionen, die Benutzung der Sprechzeiten, die beinahe überall angeboten werden, werden sehr sorgfältig registriert und ausgewertet und dienen sehr stark als Instrument der Angebotskontrolle.
Nutzen Sie die Medien, aber nutzen Sie sie kritisch. Das Wort stammt ja vom griechischen „krinein“, was „scheiden, unterscheiden“ bedeutet. Und das steht ja schon bei Paulus: „Prüfet alles und behaltet das Gute“. Dies ist genau die richtige Maxime.
Und da wir hier in einer Schule mit einem hohen Anspruch sind: Schrecken Sie Ihre Schüler und Kinder bitte nicht ab, wenn sie erwägen einen Medienberuf zu ergreifen. Im Gegenteil: Ermuntern Sie sie. Denn erstens ist dies eine wachsende Sparte des Arbeitsmarktes. Die Perspektiven sind hier im Vergleich zu anderen Berufsfeldern gewiss nicht schlecht.
Zum anderen ist dies der beste Weg, um eine Medienlandschaft sichern zu helfen, die Ihren und unseren Wünschen entspricht. In der Menschen Verantwortung tragen, die dem Leitbild dieser Schule entsprechen: Offen, neugierig, aber mit einem Wertekompass in der Hand, der sie davon abhält, gleich in jeden Irrweg hineinzulaufen. Der sie zugleich befähigt, wenn sie sich verlaufen haben, sich zu korrigieren. Solche jungen Leute werden immer stärker gesucht.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.