Der folgende Artikel erschien am 24. Juni 2012 unter der Rubrik „Kirche vor Ort“ im Osnabrücker Kirchenboten (Text und Foto stammen von Andrea Kolhoff.):
Mittelalterlicher Text über die Sinnsuche des Heiligen eignet sich als Lektüre im Fach Latein
Handrup. Was haben Jugendliche auf der Sinnsuche und der heilige Christophorus gemeinsam? Eine Schullektüre für den Lateinunterricht gibt Raum zum Philosophieren, zum Beispiel im Unterricht bei Thomas Müller am Gymnasium Leoninum Handrup .
Nicht nur stark, sondern auch stur ist er, dieser Christophorus. Nein, fasten kann ich nicht, sagt er. Dann schlägt der Eremit, den er um Rat gefragt hat, wie er Gott finden kann, ihm vor, zu beten. Doch auch dies lehnt Christophorus alias Reprobus ab: Er wisse nicht, wie das geht, sagt er: „Nescio, quid sit hoc, nec huius modi obsequium perficere possum.“
Die Geschichte des Reprobus, der sich aufmacht, dem zu dienen, der der stärkste ist, hat der Dominikanermönch Jacobus de Voragine im Mittelalter niedergeschrieben. Daraus folgte später die Heiligenlegende, die erzählt, wie Christophorus das Jesuskind über den Fluss trägt und dabei die Last der ganzen Welt zu schultern hat. Die Klasse 9 a des Gymnasiums Leoninum ist auf die Übersetzung nicht angewiesen – sie liest das lateinische Original.
Wie hat sich der Held entwickelt?
Das Büchlein, in dem die Geschichte abgedruckt ist, listet neben dem lateinischen Originaltext auch einige Vokabeln auf und enthält auf jeder Doppelseite ergänzende Betrachtungen und eine bildliche Darstellung. Das Buch aus einer Unterrichtsreihe von Vandenhoeck & Ruprecht stammt von Lateinlehrer Thomas Müller. Er hat es schon vor Jahren verfasst, um im Lateinunterricht auch einmal eine Schullektüre anbieten zu können, die über Caesars Betrachtungen zur Kriegsführung hinausgeht. Das Heft leistet auch heute noch gute Dienste.
Mit den Jugendlichen die Geschichte des Christophorus als Entwicklungsgeschichte des Helden zu lesen, sei spannend, sagt Müller.
An diesem Vormittag im Leoninum sollen die Jugendlichen vortragen, was sie beim Lesen und Übersetzen des Textes zu Hause über die handelnden Charaktere herausgefunden haben.
Christophorus sei unflexibel, sagt ein Mädchen, der Eremit sei streng, heißt es. Und dann entspinnt sich ein Gespräch darüber, dass der Eremit und Christophorus ja eigentlich dasselbe Ziel wollen: Gott suchen und finden.
Für Christophorus aber könne es nicht um denselben Weg zu Gott gehen wie für den Eremiten. Vielleicht besitze Christophorus nicht die Willenskraft, „das Fasten durchzuziehen“, sagt eine Schülerin, und Beten habe er nie gelernt. Aber: Eine Hütte am Fluss zu bauen, sich dort niederzulassen und Wanderer über den Fluss zu tragen – diesen Vorschlag des Eremiten könne Christophorus annehmen. Dieser Weg, Gott zu suchen, scheint wie für Christophorus gemacht. „Damit kann er anderen dienen und somit auch Gott“, sagt ein Mädchen.
Wie es für die Jugendlichen wäre, einen Eremiten um Rat zu fragen oder seine Sorgen einem Eremiten anzuvertrauen, fragt Thomas Müller. Da müssen einige kichern. Ein Eremit, der abgeschieden im Wald lebt, wisse doch nichts von der heutigen Welt, von E-Mail und iPod, meint ein Schüler. Der verstehe doch die Probleme der Menschen von heute nicht! Aber eine Klassenkameradin sieht das anders: „ Vielleicht kann man seine Probleme da lassen und dann weg wandern.“ Ja, vielleicht: Der Eremit ist ein Außenstehender, nicht voreingenommen, steckt den Ratsuchenden in keine Schublade.“ Vielleicht wäre seine andere Sichtweise hilfreich?“, meint Lehrer Thomas Müller.
Als es klingelt, geht eine Lateinstunde zu Ende, in der gelesen, übersetzt, aber auch ein bisschen philosophiert und um die Ecke gedacht wurde.
„Besser, als immer nur zu übersetzen“
Dies sei der erste Originaltext, den sie lesen, erzählt Claudia. Seit der 6. Klasse lernt die gesamte Klasse Latein. Das ist im Handruper Leoninum die verpflichtende zweite Fremdsprache, die nach Englisch erlernt wird. In der siebten Klasse können die Jugendlichen als dritte Fremdsprache zwischen Französisch und Altgriechisch wählen. In Latein wird mit dem Unterrichtsbuch „Felix“ gearbeitet , in dem die fiktiven Figuren Claudia und Marcus durchs alte Rom führen und zum Beispiel die Arbeit eines Goldschmieds vorstellen. Die Abwechslung durch das Christophorusbüchlein kommt den Schülerinnen gerade recht. „Es macht Spaß mit der Lektüre , das ist besser, als immer nur zu übersetzen“, sagt Julia. Claudia stimmt ihr zu: „Das Interpretieren macht am meisten Spaß.“