Das Material wurde von Schülern im Rahmen des Erasmus+-Projekts „Migration in Europa“ zur Geschichte der Russlanddeutschen erarbeitet.
Der Aberglauben der Russlanddeutschen
Polina, 24, aus der Nähe von Köln
Den russisch-europäischen Konflikt kenne ich vom Küchentisch. Meine Eltern sind Putin-Fans, ich kann ihn nicht leiden. Vor einiger Zeit saßen wir am Esstisch, wo wir oft stundenlang zusammenkommen und reden, als es in den russischen Nachrichten um Alexej Nawalny ging, den russischen Oppositionspolitiker. Er war mit Säure angegriffen worden, aber der Kreml untersuchte das nicht. Das regte mich auf. Meine Mutter sagte: Putin hat recht. Warum sollte der Kreml Angriffe auf Oppositionelle untersuchen?
Das war so ein Moment, in dem ich gemerkt habe, dass wir nicht auf einen Nenner kommen werden, egal wie lange wir diskutieren und argumentieren – weil die andere Seite keine Kritik zulässt. Seitdem habe ich das Thema ruhen lassen, weil ich mich nicht mit meinen Eltern über Politik streiten will. Dadurch, dass sie russisches Staatsfernsehen konsumieren und ich gar nicht, haben wir einfach konträre Ansichten über Russlands Politik.
Die Familie meiner Mutter kommt von der Krim, und meine Großeltern leben noch dort. Mein Opa stammt von den Krimtataren ab, die damals von Stalin enteignet wurden. 2013 haben viele Tataren vor der Machtübernahme Russlands vor dem Parlament demonstriert, heute bilden sie auf der Krim die Opposition. Aber mein Opa ist absoluter Putin-Fan. Er sagt, die Krim habe Putin viel zu verdanken. Und seit der Ukraine-Krise sind auch meine Eltern noch größere Putin-Befürworter – und ich versuche, das Ganze von beiden Seiten zu betrachten, aber es fällt mir schwer.
Meinen Freunden gegenüber würde ich mich als Russlanddeutsche oder als russische Deutsche bezeichnen, denn sie wissen natürlich, dass ich einen russischen Hintergrund habe und häufig dort bin. Bei Fremden stelle ich mich meist als Deutsche vor. Das Problem ist, dass meine Familiengeschichte immer mit viel Erklärerei verbunden ist. Meine Mutter ist Ukrainerin mit russischen und ukrainischen Wurzeln, mein Vater wurde in Sibirien als Sohn eines Wolgadeutschen und einer Russin geboren, und ich kam dann in Kirgistan zur Welt. 1995 sind wir nach Deutschland immigriert. Auf diese Geschichte folgt dann immer eine Salve Fragen: „Wo liegt denn Kirgistan? Und wie seid ihr da hingekommen? Aber du siehst doch gar nicht kirgisisch aus!“ Meine Eltern haben mir sehr viel von der russischen Kultur mitgegeben. Meinem deutschen Freund und auch meinen Freunden fällt es manchmal schwer, einige unserer Bräuche und Aberglauben nachzuvollziehen. Bevor eine Reise angetreten werden kann, muss sich die ganze Familie zum Beispiel noch mal ein paar Sekunden schweigend im Wohnzimmer hinsetzen. Man darf auf keinen Fall im Haus pfeifen, sonst läuft das Geld weg. Wenn wir von schlechten Dingen sprechen, müssen wir dreimal über die Schulter spucken und auf Holz klopfen, um das Unglück abzuwenden. Und zum Frauentag müssen den Frauen natürlich Blumen mitgebracht werden – auch wenn viele Deutsche diesen Feiertag, so wie wir ihn feiern, nicht ernst nehmen und sagen, hier müsse man den Frauen keine Blumen schenken.
S.: https://www.zeit.de/campus/2018-05/russlanddeutsche-junge-menschen-identitaet-deutsch-russische-beziehungen
Aufgaben:
1.) Arbeite die Probleme von Polina aus der Textvorlage heraus.
2.) Sind euch weitere Aberglauben aus eurer Kultur bekannt? Sammelt sie und sucht nach weiteren aus eurem Land im Internet.
3.) Nehmt Stellung zum Thema Aberglauben, glaubt ihr selber an manche oder findet ihr sie absurd?