Es dürfte sich wohl kaum ein lateinisches Lehrwerk finden, das auf das Thema „Pompeji“ ganz verzichtet. Allzu spannend lesen sich die Geschichten um den berühmt-berüchtigten Vulkanausbruch des Jahres 79 nach Christus, der in der Antike gut dokumentiert ist (Plinius). Am Ende der Unterrichtssequenz „Pompeji – Leben und Sterben“ in unserem „Campus“ war zu lesen: „Wenn ihr die berühmten Ruinen von Pompeji mit eigenen Augen sehen wollt, dann kommt doch in die Region des Vesuvs!“
Was die „Campus“-Herausgeber vor acht Jahren überhaupt nicht wissen konnten, war die Tatsache, dass ein Besuch Pompejis durch Schüler*innen und weitere Interessierte zu Zeiten des Corona-Lockdowns leider nicht möglich ist. Das ist tatsächlich sehr bedauerlich und hat für den Ort auch weitreichende finanzielle Konsequenzen. Während noch 2019 knapp vier Millionen Besucher durch die weltbekannte Ausgrabungsstätte strömten, haben sich mittlerweile die Zahlen stark reduziert. „Die Veränderungen sind epochal“, weiß Ausgrabungsleiter M. Osanna zu berichten. Trotzdem sei dieArbeit während der Schließung weitergegangen. Und dann die Sensation im Dezember 2020! Bei Ausgrabungen in einem Teil der untergegangenen Stadt, der den Besuchern bis jetzt noch verschlossen war, haben Archäologen ein völlig erhaltenes „Thermopolium“ gefunden. So nannten die Römer ihre Imbissbuden mit Auslagen zur Straße hin. Das Wort setzt sich zusammen aus dem griechischen „thermós“ (warm) und „poléin“ (feilbieten, verkaufen) und meint eine Art „Fast-Food“ oder eine, wie es heute noch in Italien heißt, „Tavola calda“, einen „warmen Tisch“. Die freigelegte Snackbar sieht so aus, als wäre sie gestern noch in Betrieb gewesen.
Die Malereien an der Theke sind unversehrt und zeigen eine Meeresnymphe auf dem Rücken eines Seepferdes, vermutlich das Logo des Lokals. Offensichtlich sind Wirt und Gäste vom Vesuvausbruch überrascht worden, denn hinter dem Tresen fand man die Skelette zweier Männer, vielleicht war einer von ihnen der Imbissbudenchef persönlich. In den Theken waren Tongefäße eingelassen, in denen sich die fertig zubereiteten Speisen befanden, darunter Hühnchen- und Entenknochen, auch Reste von Schwein, Fisch, Schnecken und Ziege. Eine Art Vorgeschmack auf die mediterrane Küche von heute? Noch etwas anderes erinnert an moderne Gaststätten. Was man heute manchmal an Wänden und Toilettentüren findet, hat ein Gast vor über 2000 Jahren in den Tresen eingeritzt, um seinem Unmut freien Raum zu lassen. Dort steht, an die Adresse eines gewissen Nicia gerichtet, die unflätige Bemerkung: „NICIA CINAEDE CACATOR!“ Der Satz erschließt sich wohl auch jedem Nicht-Lateiner!
Das Lehrbuch empfiehlt uns, nicht nur Pompeji, sondern die gesamte Vesuvregion zu erkunden. Der Golf von Neapel gehörte schon in der Antike zu den absolut attraktivsten Gegenden Italiens. Mit der Regionalbahn Circumvesuviana reist man gemütlich – rechts das azurblaue Meer, links die Vesuvausläufer – von Neapel über Pompeji bis nach Sorrent, von wo man bequem auch nach Capri übersetzen kann.
Vedi Napoli e poi muori – Neapel sehen und dann sterben, so schrieb schon Goethe in seiner „Italienische Reise“. Wahrscheinlich meinte der Dichterfürst und Antikenkenner nicht unbedingt die pulsierende und vor Lebensfreude überschäumende Großstadt, deren genaue Einwohnerzahl niemand kennt, sondern ihr einzigartiges „Archäologisches Museum“, das hervorragend erhaltene Fundstücke aus dem antiken Pompeji birgt. Vielleicht sind TG-Fahrten im Herbst ja wieder möglich und dann darf man auch jenen Aphorismus lebend-leicht abwandeln: Vedi Napoli e poi vivi!
Lei