Europa – Vision und Wirklichkeit
Hans-Gert Pöttering,
Vorsitzender der Fraktion der Europäischen Volksunion
Vortrag im Rahmen des „8. Handruper Forums“
(Zu diesem Abend existieren nur mehr Manuskripttexte und Transkriptionen von Bandmitschnitten.)
Begrüßung durch P. Dr. H. Wilmer SCJ, Schulleiter
Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrte Eltern,
liebe Schülerinnen und Schüler,
verehrte Kolleginnen und Kollegen,
liebe Mitbrüder!
Seit einigen Jahren ist das „Handruper Forum“ eine feste Größe im Schulalltag des Gymnasiums Leoninum. Ziel ist es, Schüler, Eltern, Lehrer und Öffentlichkeit zu einer aktuellen und relevanten Thematik ins Gespräch zu bringen.
Für die diesjährige Herbstveranstaltung haben wir ein politisch-gesellschaftliches Thema gewählt und für heute Abend Herrn Prof. Dr. Hans Gert Pöttering gewinnen können, der seit vielen Jahren maßgeblich an der Gestaltung eines modernen Europas beteiligt ist und seit einigen Monaten das Amt des Vorsitzenden der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europaparlament bekleidet.
Herr Prof. Dr. Pöttering, noch vor einigen Tagen waren Sie in einer Privataudienz beim Heiligen Vater, Papst Johannes Paul II., in Rom, um unter anderem die Möglichkeiten für den christlich-islamischen Dialog in Europa zu erörtern. Aus dem Vatikan also nun nach Handrup, wir sind froh und stolz, dass Sie unserer Einladung gefolgt sind, und ich heiße Sie hiermit sehr herzlich willkommen.
Ebenfalls begrüße ich als Vertreter des Landkreises Emsland Herrn Landrat Meiners und den Ersten Kreisrat Herrn Winter sehr herzlich. An dieser Stelle möchte ich Ihnen, Herr Meiners, und Ihnen, Herr Winter, für die langjährige, kontinuierliche und großzügige Unterstützung unserer Schule durch den Landkreis Emsland sehr herzlich danken.
Als Vertreter des Niedersächsischen Landtages begrüße ich Herrn Rolfes, und als Vertreter der Bezirksregierung Weser-Ems heiße ich Herrn Lanfermann, den leitenden Regierungschuldirektor, herzlich willkommen. Ebenfalls gegrüße ich die Samtgemeindebürgermeister und Samtgemeindedirektoren aus dem Einzugsbereich unserer Schule. In diesem Zusammenhang heiße ich auch die Bürgermeister der Samtgemeinde Lengerich herzlich willkommen. Stellvertretend für sie begrüße ich unseren Bürgermeister aus Handrup, Herrn Josef Stockel.
Herzlich begrüße ich auch den Rektor des Herz-Jesu-Klosters, Pater Johannes Strieker, die Pastöre aus den umliegenden Pfarreien, sowie die Mitbrüder sehr herzlich.
Willkommen heiße ich auch alle Eltern, insbesondere möchte ich hier nennen den Elternratsvorsitzenden unserer Schule, Herrn Landwehr, alle Schülerinnen und Schüler, Kolleginnen und Kollegen sowie die Vertreter der Presse.
An dieser Stelle möchte ich einem Kollegen sehr herzlich danken, der sich nicht nur im Vorfeld mit großem Einsatz für ein regelmäßiges Zustandekommen des Handruper Forums engagiert hat, sondern der das Handruper Forum überhaupt ins Leben gerufen hat, nämlich Herrn OStR Paul Wöste. Herzlichen Dank für Ihre Mühe!
Herr Prof. Pöttering, von Ihrem Vortrag mit dem Thema „Europa – Vision und Wirklichkeit“ erhoffen wir uns Einblicke in die konkrete Arbeit an einem sich vereinigenden Europa, das Aufzeigen von Perspektiven und Chancen, welche ein neues Europa bietet, aber auch die Offenlegung der Schwierigkeiten und Hemmnisse bei der Umsetzung.
Uns allen wünsche ich einen lebendigen Abend. Herr Prof. Pöttering, Sie haben das Wort.
Vortrag Prof. Dr. Hans-Gert Pöttering
(Wortgetreue Abschrift nach Audioaufnahme – Korrekturen und Glättungen wurden nicht vorgenommen.)
Lieber Herr Pater Dr. Wilmer, Herr Landrat Herr Josef Meiners, die Damen und Herren, Bürgermeister und Damen und Herren der Räte, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Für mich ist es eine große Freude, heute Abend hier sein zu dürfen, und insbesondere hier sein zu dürfen, nachdem ich vor wenigen Monaten noch hier war, und als ich vor wenigen Monaten hier war, ich glaube es war im Mai, sagte mir Herr Pater Dr. Wilmer, der Schulleiter, ja, Sie waren schon mal hier vor vielen Jahren. Natürlich erinnerte ich mich gut daran, dass ich hier schon war, es muss 1980 gewesen sein, also kurz nach meiner Wahl ins Europäische Parlament 1979, und der Pater Dr. Wilmer sagte: „Ja, damals war ich noch Schüler.“ Ich sagte: „Na, das finde ich ja toll, was aus Ihnen geworden ist. Sie waren damals Schüler, jetzt sind Sie hier Schulleiter, und ich bin immer noch Europa-Abgeordneter.“ Das war vor wenigen Monaten, und ich freue mich sehr, dass ich heute hier sein kann. Morgen früh müsste ich eigentlich um 10.00 Uhr in Berlin sein, wegen einer besonderen dringlichen Sitzung des Präsidiums meiner Partei, aber das hätte erfordert, dass ich hier heute Abend hätte absagen müssen, doch ich habe gesagt, man muss Wort halten, deswegen bin ich heute Abend bei Ihnen in Handrup.
Prof. Dr. Hans-Gert Pöttering
Und da die Mitgliedschaft im Präsidium meiner Partei sich aus meiner Aufgabe im Europäischen Parlament ergibt, habe ich gedacht, muss ich nicht Morgen unbedingt dort dabei sein, aber morgen Nachmittag, wenn die Bundestagsfraktion meiner Partei da tagt, da wird das Thema „Europa“ behandelt, kann ich dann dort unsere Überzeugungen darstellen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, noch zweiunddreißig Tage trennen uns vom Jahr 2000, und dieses gibt uns Anlass, zurück zu blicken auf das zu Ende gehende Jahrhundert und den Blick zu richten in die Zukunft. Wenn wir den Blick richten auf dieses nun zu Ende gehende Jahrhundert, dann müssen wir sagen, dass dieses Jahrhundert in seiner ersten Hälfte ein Jahrhundert des Schreckens, des Leidens und der Not war, wie es diese Welt kaum jemals gekannt hat. Aber auf der anderen Seite war es zumindest im westlichen Teil Europas, in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts, dieses eine Zeit der Hoffnung, der Demokratie und der Feiheit. Und in diesen Tagen, in diesen Monaten und in den Wochen und Jahren vor uns, werden die Weichen gestellt für die Zukunft Europas im 21sten Jahrhundert. Und überlegen wir einmal, wenn wir 15 Jahre zurück gehen würden, von jetzt von 1999 in das Jahr 1984, und es hätte damals jemand gesagt, wir erfüllen Europa und der Welt einen Wunsch, und wenn wir es wollen, dann fällt der Eiserne Vorhang, Berlin wird wieder geeint, die Mauer verschwindet und Europa wächst wieder zusammen. Wenn uns dieses jemand hätte anbieten können, ich glaube, wir wären bereit gewesen, jeden zu denkbaren Preis, auch finanziellen Preis, zu zahlen.
Deswegen wird es in den nächsten Monaten und Jahren darum gehen, wie es uns gelingt, diesen „Kontinent Europa“ wieder zusammen zu führen und vor allen Dingen, diesen „Kontinent Europa“ eine Zukunft in Frieden und in Freiheit zu ermöglichen.
Und dann muss man sich fragen, wie soll das gelingen, wie kann das gelingen? Und hier müssen wir einen Blick richten in die Geschichte. Nur kurz, aber wir müssen den Blick richten in die Geschichte, damit wir aus den Erfahrungen der Geschichte die richtigen Konsequenzen ziehen. Wir alle wissen, dass wir im vorigen Jahr in Osnabrück und in Münster uns erinnert haben an den Westfälischen Frieden vor 350 Jahren. Der „Westfälische Friede“ von Osnabrück und Münster -oder- Münster und Osnabrück- war der Versuch, dieser europäischen Staatenordnung einen dauerhaften Frieden zu geben.
Und wir wissen, dass dieses nicht gelang.
Um nur einige ganz wenige Stationen anzumerken: Der 7-jährige Krieg, zwischen Preußen und Österreich und anderen beteiligen Ländern in Europa von 1756 – 1763 war eine solche Station. Oder nehmen wir auch den Krieg, um nur einige Beispiele zu sagen, 1870/71 zwischen Frankreich und Deutschland. Und andere Kriege! Immer war es das gleiche Spiel, die Auseinandersetzung zwischen den Europäern, und man hat immer wieder versucht, durch Bündnisse durch Allianzen durch Koalitionen, zumindest für eine gewisse Zeit, Frieden und Gleichgewicht zwischen den Ländern Europas herbei zu führen. Aber wir haben gesehen, dass dieses immer wieder in sich zusammenbrach. Und erinnern wir uns an das Jahr 1806, als nämlich Napoleon fast alle Europäer besiegt hatte, wo Preußen darniederlag nach der Schlacht von Jena und Auerstett. Und wir wissen, dass es damals in Europa 5 Länder, 5 Staaten gab, die dominierten: Frankreich, Russland, England, Preußen und Österreich. Und Goloman, dieser große deutsche Historiker, hatte ein Psychogramm der damaligen 5 Großmächte: England, Frankreich, Österreich, Russland und Preußen gekenntzeichnet, und das war die Methode, wie man immer versucht hat, in Europa für einige Jahrzehnte den Frieden zu schaffen. Goloman sagt zwar in einem längeren Zitat, aber ich finde es wirklich sehr bemerkenswert, er sagt: „ Zwischen allen diesen Mächten, also England, Frankreich, Österreich, Preußen und Russland war Feindschaft, offener oder latenter Krieg, ein negatives Verhältnis, welches das politische Spiel beherrschte. Die Feindschaft zwischen Frankreich und England war eine Alles-Überschattende. Eben darum gab es immer wieder wage Kontaktaufnahmen zwischen ihnen, verursacht durch die Vorstellung, dass, wenn sie sich einigten, der Friede ewig und die Welt ihr Besitz sein würde. Es war Feindschaft zwischen Frankreich und Österreich, eine alte, klassische Renaissancefeindschaft, aber zweimal schon hatten sie im vergangenen Jahrhundert immer wieder versucht, hier ein Ende zu machen, um gemeinsam dem Kontinent das Gesetz vorzuschreiben, im 7-jährigen Krieg und 1797. Es war Feindschaft zwischen Preußen und Österreich, deutsche und europäische Feindschaft, der Gedanke hörte aber nicht auf in den Köpfen deutscher Patrioten zu fühlen, dass eine Vereinigung dieser beiden Mächte, also eine Vereinigung aller Deutschen, stärker sein würde als das gesamte übrige Europa. Auch zwischen Frankreich und Preußen war Feindschaft, die Allianz dieser beiden Fortschrittsstaaten aber eine Lieblingsidee der Französischen Revolution. Ähnlich war Feindschaft zwischen Frankreich und Russland. Und die Idee war, dass eine Vereinigung dieser beiden Mächte nicht Europa allein, sondern Afrika und Asien beherrschen und das Britische Imperium brechen könnte.
Meine Damen und Herren, das war über Jahrhunderte das Spiel der Europäischen Mächte.
Gleichgewicht, Allianzen, die sich immer wieder änderten und schließlich brach alles in sich zusammen, und der Kriege zwischen den europäischen Nationen begann von neuem. Und wir kennen das fürchterliche alles menschlich übersteigende Ergebnis des II. Weltkrieges, 55 Millionen Tote, 35 Millionen Verwundete, 3 Millionen Vermisste in Europa, in der Welt und allein über 12 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene alleine in Deutschland sind das furchtbare Ergebnis dieses II. Weltkrieges. Und meine Damen und Herren, wenn es aus der Geschichte eine neue Erfahrung geben sollte, eine neue Konsequenz, dann musste man einen neuen Weg gehen, eine neue Methode suchen. Und deswegen war es ganz wichtig, dass dieser neue Versuch für eine neue Ordnung Europas aus Frankreich kam, aus Frankreich, das gerade für die Beziehung mit Deutschland und für die Zukunft Europas grundlegend ist. Und es war der 1. Ehrenbürger Europas, „Jean Monnet“, der eine große Idee hatte und sagte. „Notwendig ist eine Vereinigung der Interessen der europäischen Völker und nicht einfach die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts dieser Interessen.
Das Gleichgewicht, die Aufrechterhaltung der Interessen der europäischen Völker, das Gleichgewicht dieser Interessen, das war die alte Methode. Die neue Methode war und die neue Methode ist, Vereinigung der Interessen der europäischen Völker. Und hier hatte es in der Vergangenheit bereits Versuche gegeben, in den 20er Jahren durch Aristrit Brion, der von einem europäischen Bundesstaat sprach, aber dieser europäische Bundesstaat sollte die Souveränität der Staaten unangetastet lassen, das waren natürlich schön gemeinte Worte, die aber für die praktische Politik keine Konsequenzen hatten. Und hier war es nun wieder Jean Monnet, der Ratgeber von Robert Schumann war, jenem französischen Außenminister, der auf dem Grenzgebiet von Deutschland und Frankreich, nämlich aus Lotringen kam, er ist in Lotringen geboren, in Luxemburg, aber er war Franzose, der am 9. Mai 1950, also in wenigen Monaten, in einem guten halben Jahr, also vor 50 Jahren einen revolutionären Plan vorlegte. Der Ideengeber war Jean Monnet, nämlich das Arsenal für Krieg und Waffen, nämlich Kohle und Stahl in Europa zu Vergemeinschaften. Das war genau diese Methode, von der Jean Monnet sprach, die Vereinigung der Interessen der europäischen Völker, und so entstand 1952 aufgrund dieses Vorschlages am 9. Mai 1950 die europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Also die Vergemeinschaftung dessen, was immer wieder zum Krieg geführt hatte. Und Jean Monnet hatte auch gesagt, dass die Einstimmigkeit zeigt, dass man nicht überstimmt werden kann. Dieses Prinzip der Einstimmigkeit, das da zum Veto führt, wenn man nicht überstimmt werden kann, gleichsam für ein Naturgesetz immer in der neueren europäischen Geschichte gehalten wurde, sowohl im Völkerbund wie heute in den vereinten Nationen. Und wenn man heute auf das Prinzip der Einstimmigkeit festgelegt ist, dann führt dieses sehr oft zur Handlungsunfähigkeit. Um Ihnen ein neueres Beispiel zu sagen, als Milosevic, der Diktator unserer Zeit, die Menschen aus dem Kosovo vertreiben wollte und die vereinten Nationen blockiert waren, sich nicht einigen konnten, weil es dort die Mehrheitsentscheidung nicht gibt, da war die Weltgemeinschaft nicht handlungsfähig, und die NATO hat dann die Dinge in die Hand genommen, weil die UNO blockiert war. Das ist ein Beispiel dafür, dass die Einstimmigkeit nicht funktionieren kann. Und deswegen ist es so wichtig, dass wir in der heutigen Europäischen Union, die Europäische Gemeinschaft, die dann entstand, das Prinzip der Mehrheitsentscheidung durchgeführt haben, was ganz noch nicht verwirklicht ist, aber auf gutem Wege ist. Und diese Vergemeinschaftung von Kohle und Stahl war eine Idee für die Robert Schumann und Jean Monnet andere gewannen, Konrad Adenauer, Alcide de Gassberi und viele andere in Europa. Und es heißt dann in dieser Erklärung zum 09. Mai 1950, die den Namen Robert Schumanns trägt:
Durch die Zusammenlegung der Basisproduktion und die Einrichtung einer hohen Behörde, deren Entscheidung zu Frankreich, Deutschland und die sich anschließenden Länder verbindlich sind, werden die ersten konkreten Grundlagen einer Europäischen Föderation geschaffen, die unerlässlich ist für die Wahrung des Friedens.
So heißt es wörtlich in den Dokumenten. Und Jean Monnet verlangte, dass diese Passage unterstrichen wurde, weil sie gleichzeitig die Methode, die Mittel und das Ziel beschrieb, und die künftig nicht mehr voneinander zu trennen waren. Und das letzte Wort war das Hauptwort. „Frieden“. Und es erstand nicht nur die Hohe Behörde, sondern auch der Vorläufer des heutigen Europäischen Parlamentes und der Ministerrat. Und Robert Schumann und Jean Monnet waren der Überzeugung, dass man mutig sein müsse. Und in Frankreich 1950 solche Vorschläge zu machen, war außerordentlich mutig, weil nämlich die Rechtsextremisten und die Nationalisten, die Kommunisten gegen solche Pläne waren und Robert Schumann wegen seiner Nähe zu Deutschland, er hat ja in Deutschland auch studiert und sprach blendend deutsch, doch vielfach in Frankreich in der Nationalversammlung für seine Ideen gescholten wurde. Und Jean Monnet und Robert Schumann waren der Meinung, dass es starke Institutionen geben müsse in Europa, damit Europa durch seine Institution, so unzulänglich sie im Einzelfall auch sein mögen, handeln könne und Jean Monnet sagte: „Nichts ist möglich ohne die Menschen. Nichts dauerhaft ohne Institutionen.“ Und wenden wir uns jetzt den Menschen zu, Menschen in der Mitte unseres Kontinentes und in den Jahren der Überwindung und Teilung Deutschlands und Europas.
Meine Damen und Herren, es waren die Menschen in Polen, in Ungarn in den Baltischen Staaten, in vielen anderen Ländern der Tschetschenischen Republik der Slowakei, wie die Deutschen in der damaligen DDR, die immer die Fackel der Freiheit hoch gehalten haben. Und wir als Deutsche sollten niemals vergessen, dass Solidanos und die Unterstützung, die Solidanos vom Hl. Vater bekommen hat, entscheidend waren für einen Durchbruch in der Mitte Europas. Und ich möchte persönlich behaupten, dass ohne Solidanos die Arbeiterbewegung, auch getragen von christlichen Überzeugungen, nicht gegeben hätte, dass es ohne Solidanos die Einheit Deutschlands nicht gegeben hätte. Und man mag das Wirken und manche Einstellung des Hl. Vaters, Johannes Paul des II., durchaus kritisch begleiten, aber in seiner historischen Rolle als Unterstützer für das Polnische Volk, für die Menschen in Mittel- und Osteuropa und für die Überwindung des Kommunismus, hat dieser Papst Johannes Paul der II. eine historische Rolle, und ich hätte mir gewünscht, dass bei diesen Feierlichkeiten am 09. November jetzt vor einigen Wochen im Deutschen Bundestag daran erinnert worden wäre.
Meine Damen und Herren, wir stehen vor der großen Frage, wie gelingt es uns, die Länder Mitteleuropas einzugliedern in die Europäische Union? Das ist die Priorität der Prioritäten in den nächsten Jahren. Und stellen Sie sich einmal vor, dieses würde scheitern. Es würde uns nicht gelingen die Länder Mitteleuropas, also Estland, Lettland und Litauen, Polen, die Tschetschenische Republik, die Slowakei, Ungarn, Slowenin, Bulgarien, Rumänien, um diese Länder geht es im Moment, es würde uns nicht gelingen, sie zu integrieren in die Europäische Union. Sie könnten den Eindruck haben, die Europäer weisen uns ab von den Toren Europas. Es könnte eine Aversion entstehen gegen den westlichen Teil Europas, und aus der Aversion könnte Gegnerschaft und wieder Feindschaft werden, und wir würden möglicherweise die Tragödie der Europäischen Geschichte in die Gegenwart und in die Zukunft holen. Und wenn wir über den Beitritt der Länder Mitteleuropas, über deren Wunsch in die Europäische Union einzutreten, nachdenken, dann dürfen wir niemals vergessen, dass es die Menschen sind in diesen Ländern, die mit uns die Werte Europas teilen, die Würde des Menschen, die Menschenrechte, die Demokratie, die Freiheit und eine marktwirtschaftliche Ordnung. Und sie wollen in diese Europäische Union, weil sie für sich Sicherheit erstreben. Und denken Sie einmal an die drei Baltischen Staaten: Estland, Lettland und Litauen, an die Tragödie, die diese drei Länder in diesem Jahrhundert erlebt haben durch den verbrecherischen Pakt zwischen Hitler und Stalin, und die dann am Ende in Unfreiheit versanken im totalitären kommunistischen System.
Und wenn jetzt in diesen Tagen Russland, dass wesentlich ist für den Frieden im 21. Jahrhundert, und deswegen haben wir auch alles Interesse an einem handlungsfähigen demokratischen Russland, wenn in diesen Tagen Russland, Moskau, ein Volk zusammen- bombt in Tschetschenien, ist dann der Wunsch dieser drei baltischen Länder: Estland, Lettland und Litauen nach den Erfahrungen dieses Jahrhunderts nicht um so verständlicher, dass es sich unserer Werteordnung unserer Europäischen Union anschließen wollen?
Meine persönliche Antwort ist eindeutig: „Ja“, und wir müssen unserer Verantwortung gerecht werden. Aber, man darf nicht naiv sein, sondern der Prozess der Erweiterung der Europäischen Union, oder sagen wir besser, des Beitrittes dieser Länder in die Europäische Union wird stufenweise vor sich gehen müssen. Das Europäische Parlament war immer der Meinung, dass wir alle zehn Staaten einbinden müssen in den Verhandlungs- und Beitrittsprozess, damit niemand von diesen zehn Staaten sich ausgeschlossen fühlt. Und die Staats- und Regierungschefs haben 1997 auf einem Gipfel in Luxemburg wörtlich eine Formel des Europäischen Parlamentes, die aus unserer Fraktion kam, übernommen, dass der Verhandlungs- und Beitrittsprozess mit allen gleichzeitig beginnen soll, aber dass die konkreten Verhandlungen zunächst nur mit fünf Staaten beginnen soll, nämlich mit Estland, Polen, mit der Tschetschenischen Republik, mit Ungarn und Slowenin. Jetzt, im Dezember, in wenigen Tagen wird der Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Helsinki mit ziemlicher Sicherheit entscheiden, die Verhandlungen zu beginnen mit Lettland, Litauen, der Slowakei, mit Bulgarien und Rumänien. Bulgarien und Rumänien sind mit Sicherheit die Länder, bei denen es am längsten dauern wird, und die Problematik ist, wenn man die Verhandlungen mit Lettland, Litauen beginnt und mit der Slowakei, aber man würde Bulgarien und Rumänien nicht berücksichtigen, dass diese Länder entmutigt würden, und die Reformdynamik würde in diesen Ländern beeinträchtigt werden. Deswegen wird die Entscheidung wohl so sein, dass sie alle in den Prozess aufgenommen werden, wobei die Intensität der Verhandlungen dann sehr unterschiedlich sein wird. Eine große Problematik, und darüber gibt es sehr unterschiedliche Meinungen, ist die Behandlung der Türkei. Meine persönliche Position und auch die der Mehrheit der EVP-Fraktion ist, dass eine Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union die Qualität der Europäischen Union sowohl politisch wie auch wirtschaftlich als auch kulturell sehr nachdrücklich verändern würde. Und deswegen ist die Mehrheit unserer Fraktion der Meinung, dass wir der Türkei jetzt nicht den Kandidatenstatus geben sollten, aber die Staats- und Regierungschefs werden voraussichtlich etwas anderes entscheiden. Wenn man der Türkei den Kandidatenstatus gibt, mit welchem Recht kann man ihm dann der Ukraine und auch Russland verweigern? Das sind Fragen, auf die es heute keine Antworten gibt. Und wir werden darauf bestehen müssen, ja, in den nächsten Jahren, und das wird ein ganz schwieriger Prozess, die Türkei, wenn sie diesen Status bekommt, ich habe meine Position deutlich gemacht, dass Voraussetzung jedes Annäherungsprozesses die Einhaltung der Menschenrechte ist, und dass man auch den Kurden ihre identitätswahrenden Rechte gibt, wovon die Türkei heute weit entfernt ist.
Meine Damen und Herren, die Mitgliedschaft der zehn Mitteleuropäischen Länder in der Europäischen Union und der Weg dahin ist eine gewaltige Herausforderung. In diesen zehn Ländern leben hundertsechsmillionen Menschen und die Wirtschaftsleistung dieser Länder entspricht dem Bruttosozialprodukt der Niederlande mit sechzehnmillionen Menschen. Daraus wird deutlich, welch gewaltige Aufgabe auf diese Länder, Reformaufgabe, auf diese Länder zu kommt, und wie wichtig es ist, dass sie auch die notwendige Solidarität der heutigen Europäischen Union bekommen, und dieses wird auch bedeuten, dass die Finanzströme der Europäischen Union, das, was über den Haushalt der Union finanziert wird, dann von den Südländern Europas verlagert wird auf die Mitte Europas. Aber meine Damen und Herren, befreien wir uns von der nicht richtigen Vorstellung als wenn wir, die Deutschen, immer nur zahlen dürfen. Wir haben alleine gegenwärtig im Verhältnis, wir die Bundesrepublik Deutschland im Verhältnis zu den Mitteleuropäischen Ländern und einigen Ländern im Umfeld dieser eben dieser Zehn genannten, ein Handelsbilanzüberschuss jährlich von dreizehnmilliarden Mark, also wir exportieren für dreizehnmilliarden Mark mehr in diese Länder als wir herein importieren. Zur Zeit sind wir die Nutznießer. Das, was über den Haushalt der Europäischen Union demnächst laufen wird, wird zur Stabilität auch in diesen Ländern beitragen. Und wir wissen aus den Erfahrungen mit Portugal und in Spanien, die Maschinen, die man braucht um Länder zu entwickeln oder auch die Infrastruktur, die geschaffen wird, wird zu einem großen Teil geliefert aus den Zentralregionen Europas und damit von der Bundesrepublik Deutschland. Also am Ende werden wir alle den Vorteil davon haben. Aber meine Damen und Herren, das ist der entscheidende Punkt. Der Wandel in Europa, in unserer Generation, den jeder sich erhofft hatte, aber die unsere Generation nicht erwartet hatte. Dieser Wandel in Europa ist auch ein Sieg unseres, und ich betone ausdrücklich, ein Sieg unseres christlichen Menschenbildes. Denn sowohl der Nationalsozialismus als auch der Kommunismus waren angetreten, einen menschenneuen Typus zu schaffen, eine Welt, in der es die Entpersönlichung gibt, wo das Individuum, der Einzelmensch, die Würde des Menschen nicht mehr galt. Und dieses ist überwunden worden durch den Niedergang sowohl in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts des Sozialsozialismus, als auch in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts des Kommunismus. Und es sind die Werte des Christentums und unseres christlichen Menschenbildes, die am Ende sich durchgesetzt haben. Und deswegen haben wir, glaube ich, allen Anlass, mit Zuversicht und Hoffnung und Optimismus der Zukunft entgegen zu sehen, aber wir müssen es natürlich richtig machen. Und die Voraussetzung für den Beitritt der Länder Mitteleuropas ist zunächst eine Reform der Europäischen Union.
Meine Damen und Herren, ich sprach eben davon, Jean Monnet hat vorgeschlagen vom Prinzip der Einstimmigkeit sich zu verabschieden. Und heute haben wir in der Europäischen Union den Ministerrat in der Gesetzgebung über den Binnenmarkt, also beim freien Austausch von Personen waren Dienstleistungen und Kapital in weiten Bereichen die Mehrheitsentscheidung im Ministerrat. Und in den meisten dieser Bereiche, etwa in 75 – 80 Prozent ist das Europäische Parlament gleichberechtigt in der Gesetzgebung. Es ist ein gewaltiger Fortschritt. Als das Parlament 1979 seine Arbeit begann, nach der ersten Direktwahl war die Macht des Parlamentes gleich null. Durch die verschiedenen Reformschritte in den achtziger Jahren, dann durch den Vertrag von Maastrich, und dann durch den Vertrag von Amsterdam hat dieses Europäische Parlament an Macht und Einfluss entscheidend zugenommen, so dass dreiviertel der Europäischen Gesetzgebung mit abhängig ist durch gleichberechtigte Mitwirkung des Europäischen Parlamentes. Die Erweiterung der Europäischen Union wird es nur geben, wenn das Europäische Parlament zustimmt. Internationale Verträge, die die Europäische Union abschließt, können, wenn sie finanzielle Auswirkungen haben, nur in Kraft treten, wenn das Europäische Parlament zustimmt. Der Haushalt der Union tritt nur in Kraft, wenn das Europäische Parlament sich verabschiedet. Sie sehen also, weite Bereiche, die der Zuständigkeit des Europäischen Parlamentes unterliegen. Aber wir haben Reformbedarf vor der Erweiterung der Europäischen Union. Und auf dem Gipfeltreffen in Amsterdam, was ja zum Vertrag von Amsterdam führte, hat es drei Bereiche gegeben in einer neuen Konferenz, die im kommenden Jahr beginnen wird und geregelt werden müssen. Das ist einmal die Zusammensetzung der Kommission, das ist die Neugewichtung der Stimmen im Ministerrat. Im Ministerrat gibt es, wie Sie wissen, viele kleine Länder, einige große Länder, und wenn die Stimmengewichtung so bleibt und viele kleine Länder beitreten, dann kann bei der Fortschreitung des Stimmengewichtes, wie es jetzt ist, der Fall eintreten, dass viele kleine Staaten mit der Minderheit der Bevölkerung die großen Staaten mit der weitaus überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung dominieren. Nehmen Sie das Beispiel, als wenn das Saarland und Bremen oder eine Fülle von Saarländern und Bremern am Ende im Bundesrat die großen Länder überstimmen könnte. Das heißt, es muss reformiert werden, und es muss, und das ist die Hauptaufgabe, die Mehrheitsentscheidung im Ministerrat für viele Bereiche noch eingeführt werden, wo sie heute noch nicht gilt. Und das ist ein wichtiges Erfordernis, weil eine Europäische Union mit zwanzig, fünfundzwanzig, vielleicht sogar dreißig Staaten nicht mehr politisch führen können, wenn sie in vielen Fragen an der Mehrheitsentscheidung festhalten. Deswegen ist unsere Forderung, dass wir die Mehrheitsentscheidung im Ministerrat dort einführen, wo sie heute noch nicht ist. Und man kann sich natürlich vorstellen und muss sich vorstellen, dass es Bereiche gibt, bei denen die Mehrheitsentscheidung nicht eingeführt wird, wo man sich einig sein muss zwischen den Regierungen, das ist denkbar bei gewissen Finanzfragen, auch gewissen Steuerfragen, aber darüber wird man sprechen müssen. Und nun hat es einen Bericht gegeben, den Romano Prodi, der neue Kommissionspräsident, in Auftrag gegeben hat bei den früheren belgischen Ministerpräsidenten Jean Luc de Hane, unseres früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und des britischen Lord Simons. Und diese drei Persönlichkeiten haben, wie ich finde, einen genialen Vorschlag gemacht. Sie sagen, wir brauchen in der Europäischen Union einen grundlegenden Vertrag, also gleichsam so etwas wie eine Verfassung, obwohl man den Ausdruck Verfassung nicht verwendet, das würde in einigen Ländern Europas nicht gerne gehört. Und man braucht einen erweiterten Vertrag. Und dieser grundlegende Vertrag, der soll, wenn er geändert wird, geändert werden durch die Regierungen der Mitgliedsländer der Europäischen Union und die Nationalen Parlamente, muss also ratifiziert werden. Während es heute so ist, dass überhaupt der Vertrag, wenn er geändert wird, ratifiziert werden muss durch die Nationalen Parlamente. Und dieses soll beschränkt werden nur auf den grundlegenden Vertrag. Also die wesentlichen Elemente der Verfass-Zeit Europas soll niedergeschrieben werden. Und dann soll es einen erweiterten Vertrag geben, wo die nicht ganz so wichtigen Dinge stehen, die aber heute in dem Gesamtwerk des Vertrages sind, und wenn das heute geändert wird, muss das alles die Nationalen Parlamente durchlaufen. Und dieser zweite Teil, der sogenannte erweiterte Vertrag, soll geändert werden können durch die Entscheidung des Ministerrates und des Europäischen Parlamentes, was die Entscheidungsprozeduren sehr vereinfachen würde.
Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob es dazu kommt, aber die Idee ist gut, und deswegen fordert das Europäische Parlament den Ministerrat auf, auch die Bundesregierung auf, dass in der Regierungskonferenz man sich nicht nur mit diesen drei eben genannten Bereichen beschäftigt, also Kommission- Ministerrat, Neugewichtung der Stimmen, Ausweitung der Mehrheitsentscheidung, sondern auch mit diesen grundlegenden Fragen. Vor allen Dingen wollen wir erreichen, dass der Ministerrat, der heute immer hinter verschlossenen Türen tagt, reformiert wird und wir den Ministerrat weiterentwickeln, zu etwas wie unseren Bundesrat in der Bundesrepublik Deutschland, bei dem ja die Gesetzesentscheidungen dann öffentlich verhandelt werden. Und hier brauchen wir Reformen. Was die Kommission angeht, so haben wir sicher in diesem Jahr sehr sorgfältig beobachtet, dass die Kommission am Ende zurückgetreten ist, um einen Misstrauensvotum des Europäischen Parlamentes zuvor zu kommen. Dieses war für Jack Santer, dem Präsidenten der Europäischen Kommission, sicher ein bedauernswerter Vorgang, denn Jack Santer ist ein ehrenwerter Mann. Aber wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, Mitglieder der Kommission zu entlassen wie ein Bundeskanzler einen Ministerpräsidenten Minister entlassen kann, dann wäre uns wahrscheinlich der Rücktritt der Kommission erspart geblieben. Und dieses zeigt, dass wir die Europäische Union auch bei der Kommission weiter reformieren. Und es war richtig, dass der neue Kommissionspräsident, Romano Prodi, ehe die Kommission bestätigt wurde durch das Europäische Parlament, dass er jedem designierten Mitglied der Kommission die Frage gestellt hat: „Würden Sie zurücktreten, wenn ich es von Ihnen auf Grund gewisser Vorkommnisse erwarte? Und jedes Mitglied der Kommission hat diese Frage bejaht. Und damit hat heute der Kommissionspräsident die Möglichkeit bei bestimmter Ahndung von Verhalten von Mitgliedern der Kommission, diese wie einen Nationalen Minister zu entlassen.
Aber das steht noch nicht in den Verträgen, und ich möchte Ihnen einmal berichten wie es war, ehe das Europäische Parlament seine Zustimmung zu dieser Kommission gegeben hat. Wir haben nicht das Recht, einzelne Minister oder Ministerkommissare, Artminister, nicht zu berufen, sondern wir können nur zu der Gesamtkommission als Europäisches Parlament ja oder nein sagen, so dass es am Ende immer eine Abwägung ist, ob man der gesamten Kommission die Zustimmung gibt. Und wir haben es uns dieses Jahr in unserer Kommission nicht leicht gemacht, Herr Prodi und seine Mannschaft haben uns Zugeständnisse gemacht, und Sie werden sehen, das ist eine Art verfassunggebender Prozess. Herr Prodi hat vor dem Abstimmungsvotum im Europäischen Parlament fünf Punkte, die auch aus unserer Fraktion kamen, und das Parlament insgesamt übernommen hat, fünf Punkte akzeptiert, einen Verhaltenscodex, der jetzt bindend ist für das Verhalten der Kommission gegenüber dem Europäischen Parlament.
1.) Die Kommission verpflichtet sich, dass, wenn immer das Parlament es verlangt, die Mitglieder der Kommission im Gesamtparlament und in den Ausschüssen des Parlamentes präsent ist.
(Auf nationaler Ebene ist das normalerweise eine Selbstverständlichkeit, überall nicht. Das gibt es auch mal im Deutschen Bundestag, dass die Mitglieder der Bundesregierung nicht in den Ausschüssen sind, aber in der Regel trifft das zu. Die Kommission hat sich also verpflichtet, immer präsent zu sein, wenn das Parlament es verlangt. In besonderen Fällen kann es natürlich mal eine Ausnahme von diesem Prinzip geben, z.B. entschuldigte sich vor einigen Tagen ein Kommissar, nämlich der für Agrarpolitik, Sie wissen wahrscheinlich wen ich meine, er könne nicht in den Ausschuss kommen in diesen Tagen, weil er für die Europäische Union in Seattle ist, wo die Welthandelsvereinbarungen jetzt beginnen, oder die Verhandlungen darüber jetzt beginnen. Es ist also ein guter Schritt, wenn dieses so mitgeteilt wird.
2.) Wenn das Parlament einem Mitglied der Kommission das Misstrauen ausspricht, hat es keine unmittelbaren Konsequenzen. Und Romano Prodi hat sich verpflichtet, dass, wenn das Parlament ein Mitglied der Kommission das Misstrauen ausspricht, dass dieses für Romano Prodi ein Anlass ist, sich sehr intensiv mit der Frage zu beschäftigen, sich mit dem Mitglied der Kommission zu befassen und an dieses Mitglied die Frage zu richten, ob es entlassen wird.
3.) Wir als Parlament haben nicht das Initiativrecht für die Gesetzgebung. Herr Prodi sagt, dieses Gesetzgebungsinitiativrecht liegt bei der Kommission. Und Herr Prodi hat zugestimmt, dass, wenn wir eine Gesetzesinitiative, auch eine Änderung eines Gesetzes, z. B. bei den FFH-Richtlinien, (Fauno, Flora, Habitat), das ist ein sehr konkreter Fall, der in nächsten Wochen und Monaten von uns zu behandeln sein wird, dass, wenn wir dieses verlangen, dass er dem im Wesentlichen entsprechen wird.
4.) Dass die Reformen in der Europäischen Kommission mit dem Europäischen Parlament eng abgestimmt werden.
5.) Dass die Regierungskonferenz der Länder der Europäischen Union, die nun anfangs 2000 beginnen wird, einen umfassenden Auftrag bekommt für die Reformen der Europäischen Union, wie ich es eben dargestellt habe.
Meine Damen und Herren, dieses sind wichtige Zugeständnisse, wichtige Vereinbarungen, die die Kommission mit dem Europäischen Parlament getroffen hat. Und wir haben diese Forderung noch einmal in einem Schließungstext am 15. September eingebaut, dieser Text wurde vom Europäischen Parlament verabschiedet, und dann hat Romano Prodi vor der Abstimmung über die Kommission noch einmal vor dem Europäischen Parlament sich zum Inhalt dieser Vereinbarung bekannt, so dass dieses im Verhältnis zur Kommission jetzt gleichsam geltendes Recht ist. Wir werden sehr darauf achten, dass dieses auch eingehalten wird. Wir wollen, besonders unsere Fraktion, dass die Europäische Union eine Demokratische Union ist, dass sie den parlamentarischen Grundsätzen entspricht, und vor allen Dingen, wenn diese Kommission, wie Herr Prodi es gesagt hat, eine Art Regierung ist, dass dann diese Regierung auch durch das Europäische Parlament kontrolliert wird, wie es auf nationaler Ebene auch geschieht.
Meine Damen und Herren, es muss in einigen Bereichen darüber hinaus wichtige Fortschritte in der Zukunft geben, und das ist die Außen-, die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik.
Wenn Sie mir eine persönliche Bemerkung gestatten, ich war von 1984 – 1994 Vorsitzender des Unterausschusses Sicherheit und Abrüstung. Und als wir 1984 mit dieser Arbeit begannen, hat man uns belächelt, man hat gesagt, jetzt fangen diese Europaabgeordnete auch noch an, sich mit Außen-, Sicherheit- und Verteidigungspolitik zu befassen. Die EWG, wie man damals noch sagte, ist doch nur etwas für die Wirtschaft. Wir waren immer der Überzeugung, dass diese Europäische Union eine handlungsfähige, eine starke Europäische Union sein muss, damit sie sich auch in die Lage versetzen, die Menschenrechte und die Demokratie in Europa zu verteidigen und auch außerhalb der Grenzen der Europäischen Union, wenn es notwendig ist. Und dann hat es diese Entwicklung gegeben, bis hin zum Vertrag von Maastrich 1992, danach den Vertrag von Amsterdam, der am 1. Mai dieses Jahres in Kraft trat. Jetzt haben wir so etwas, zumindest auf dem Papier, wie eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Aber wir haben sie in der praktischen Wirklichkeit noch nicht, obwohl es sehr mutige Schritte auf diesem Wege gibt, schauen wir zurück auf die schreckliche Tragödie im ehemaligen Jugoslawien.
Alle fünfzehn Länder der Europäischen Union, ihre Parlamente und das Europäische Parlament haben in gleicher Weise dieses Vorgehen vom Milosevic nachdrücklich verurteilt, und es gibt dazu ein Dokument der Staats- und Regierungschefs von Berlin auf dem Gipfel im März dieses Jahres, wo man sich mit einer entschlossenen Sprache auch von Seiten der Länder der Europäischen Union darauf verständigt hat, entschlossen gegen Milosevic vorzugehen. Das war ein wichtiger Fortschritt, aber wir müssen auch sagen, meine Damen und Herren, dass 80 Prozent der Last, der Soldaten und des Materials die Amerikaner getragen haben. Das heißt, ohne Amerika wäre es nicht möglich gewesen, dass die Menschen in ihre Heimat zurück gekommen wären, das heißt, dass Milosevic dort besiegt worden wäre. Und deswegen ist es notwendig, dass wir, die Europäer, uns nun auch die Kapazitäten, die Möglichkeiten geben, dass wir, auch wenn die Amerikaner nicht handeln können, oder nicht handeln wollen, im neuen Jahrhundert, in den nächsten Jahrzehnten in unserem geografischen Umfeld, dass wir Europäer uns in die Lage versetzen, auch selbst handeln zu können. Dazu bedarf es des politischen Willens, aber dazu bedarf es auch der technischen Möglichkeiten, und das sind insbesondere die Transportkapazitäten, die wir heute nicht haben und auch die Nachrichteninformation über Satelliten, die wir Europäer heute in diesem Maße nicht haben, und wir sollten unsere Bemühung in diesem Bereich verstärken, aber nicht gegen Amerika, sondern immer in Partnerschaft und in Freundschaft mit unseren amerikanischen Verbündeten als Ergänzung zur NATO. Und dieses sollten wir auch mit den Amerikanern dann immer im Einzelnen sorgfältig abstimmen, wer handelt, ob wir zusammen handeln, oder die Amerikaner handeln, oder wir Europäer handeln, oder die NATO insgesamt wenn es um die Verteidigung von Demokratie und Menschenrechten geht. Aber, meine Damen und Herren, dieses ist meine feste Überzeugung, wir werden die Solidarität in der Europäischen Union nur gewährleisten können in der Zukunft. Auch die finanzielle Solidarität, wenn wir solidarisch sind in der Verteidigung der uns verbindenden Werte, der Menschenwürde, der Menschenrechte, der Demokratie und der marktwirtschaftlichen Ordnung. Auch hier müssen die Europäer gemeinsam handeln.
Meine Damen und Herren, welches sind die großen außenpolitischen Herausforderungen der nächsten Jahre? Russland geht hoffentlich einen Weg in die Zukunft, der es ermöglicht, dass Russland ein stabiler Faktor wird auf dem Europäischen Kontinent. Und die Sicherheit auf unserem Europäischen Kontinent im 21. Jahrhundert wird davon abhängig sein, dass die Europäische Union stark und handlungsfähig ist und dass Russland sich stabil und demokratisch entwickelt. Eine Garantie dafür gibt es gegenwärtig nicht, aber es ist unser aller Interesse, dass Russland sich so entwickelt. Und wo wir es können, sollten wir Russland Hilfe zur Selbsthilfe geben. Aber Russland muss seinen Weg selber gehen und selber entscheiden. Ob Russland sich in Werten des Westens verpflichtet fühlt oder aber eher sich in eine Isolation zurückzieht und in Verhaltensweisen, wie sie unserer Wertegemeinschaft nicht entsprechen. Und das, was gegenwärtig in Tschetschenien geschieht ist nicht Ausdruck der Verbundenheit zu unserer Wertegemeinschaft. Wir können es nur nachdrücklich kritisieren. Die Beziehungen zu Ukraine sind von großer Bedeutung. Die Ukraine möchte auch Sicherheit haben, auch Sicherheit vor Russland. Deswegen müssen wir auch auf bilateraler partnerschaftlicher Ebene alles tun, um auch unseren, da wo es denn geht, Beitrag zur Stabilität der Ukraine zu leisten.
Von den Baltischen Staaten habe ich eben gesprochen, sie sollten möglichst, so rasch es geht, Mitglied der Europäischen Union werden, damit sie nicht wieder ihre Freiheiten verlieren und als sogenanntes nahes Ausland in die russische Einflussphäre eingebunden werden.
Ganz entscheidend sind unsere Beziehungen zu den Islamischen und Arabischen Staaten und Herr Pater Dr. Wilmer hat es je eben erwähnt, in Nordafrika und im Nahen Osten.
Wir Deutschen schauen häufig nur nach Osten, was ja ganz natürlich ist. Aber die Franzosen und die Spanier, die Griechen, die Italiener, die Portugiesen schauen auch nach Süden. Und Algier, die Hauptstadt Algeriens, liegt näher an Paris als Warschau an Paris liegt, und deswegen kann es für die Sicherheit Europas nicht unerheblich sein, welche Entwicklung die Mittelmeerstaaten nehmen als die Nordafrikanischen Länder und der Nahe Osten und der Islam insgesamt. Und Sie wissen, es gibt so Theorien, die von einem amerikanischen Wissenschaftler Samuel Hunting, der vom Clash der Zivilisations spricht, also den Zusammenprall der Zivilisation. Und wenn wir dieses annehmen, dass es zu einem solchen Zusammenprall der Zivilisation käme, dann ist dieses gleichsam eine „self-full-filling-profezi“, eine „Sich-Selbst-Erfüllende-Prophezeiung“, die dann dieses Unheil, das man doch abwenden will und abwenden muss, gleichsam heraufbeschwört. Und deswegen müssen wir alles in unseren Kräften tun, politisch und auch dort, wo es die religiöse Kraft gibt, dass wir mit den Ländern des Islams, der arabischen Welt, des nördlichen Afrika miteinander in Frieden leben und eine Partnerschaft entwickeln, eine Zusammenarbeit entwickeln, die unseren Kulturen, die ja reich sind, sowohl den Kulturen des Christentums und der Abendländischen Welt, Westeuropas, Europas eine Chance gibt, wie auch den Kulturen des islamischen Raumes. Alle haben ja eine Überzeugung vom Gott als den Gott, der diese Welt doch in seiner Verantwortung trägt. Auch das ist doch etwas Verbindendes zwischen Christen und Moslems. Wir sollten als Europäische Union -und auch die großen Kirchen- alles Erdenkliche tun, dass wir nicht zu einem solchen Zusammenprall der Kulturen kommen, sondern wir sollten den Dialog fördern. Und deswegen entwickelt die Europäische Union eine
Politik, die darauf ausgerichtet ist mit allen Mittelmeerstaaten, also auch am südlichen Rande des Mittelmeeres, in einer engen Kooperation politisch zu leben. Es ist angestrebt, bis zum Jahre 2010 eine Freihandelszone zu schaffen, die zum wirtschaftlichen Vorteil für alle ist.
Meine Damen und Herren, das sind einige der großen Herausforderungen. Wir müssen natürlich als Europäische Union immer bereit sein, auch die Defizite, die es bei uns in der Europäischen Union gibt, zu beseitigen. Da, wo es Misswirtschaft gibt. Und hier gibt es auch unterschiedliche Verhaltensweisen der Länder der Europäischen Union und unterschiedliche Einstellungen. Wir müssen diese begegnen, wo immer wir es können. Diese Europäische Union mit heute 370 Millionen Menschen ist wirtschaftlich ein Riese. In der Europäischen Union leben 110 Millionen Menschen mehr als in den Vereinigten Staaten von Amerika. Und über 200 Millionen Menschen mehr als in Russland. Und wenn die 10 Länder Mitteleuropas der Europäischen Union beitreten, dann sind in dieser Europäischen Union nahezu über 500 Millionen Menschen. Und deswegen muss sich diese Europäische Union sich so reformieren, dass sie am Ende nicht zu einer großen Freihandelszone sich verflüchtigt, sondern eine starke, eine handlungsfähige und demokratische Europäische Union ist. Und damit stellt sich abschließend die Frage, wie soll denn der Aufbau dieser Europäischen Union sein.
Es wäre eine Horrorvorstellung, auch für mich als engagierten Europäer, wenn wir eine Ordnung Europas bekämen, dass alles von Brüssel aus entschieden werden müsste. Sondern Brüssel und Straßburg dürfen nur für die Aufgaben verantwortlich sein, für die Mitgliedsstaaten, die Nationen Europas, die zu klein geworden sind. Und wir brauchen ein Verständnis von Europa, unserer verschiedenen auch politischen Identitäten, die der kommunalen Selbstverwaltung, hier in der Gesamtgemeinde Freren und da wo es möglich ist, hier natürlich Handrup, und im Landkreis Emsland, die Gestaltungsmöglichkeiten belässt.
Und nur wo der Landkreis Emsland, die Samtgemeinde Freren überfordert sind, da darf dann zunächst die höhere Ebene zuständig sein, das Land Niedersachsen die Bundesrepublik Deutschland oder die Europäische Union. Und so brauchen wir ein Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Handlungsebenen, von der komunalen Ebene über die regionale Ebene, bei uns würde man sagen: Bundesländerebene, die Nationen und die Europäische Union. Und darüber hinaus gibt es eine Verantwortung für die Welt.
Und meine Damen und Herren, viele sagen, die Nationen Europas seien überholt. Ich glaube dieses nicht, sondern der nationale Charakter der Handlungsbefugnisse der Nationen wird sich natürlich verändern. Aber die Nation als Ausdruck der Identität der Völker wird erhalten bleiben. Und wenn Sie an die Polen denken, so haben die Polen über ihre nationale Identität auch ihre konfessionelle Identität, also Katholiken, den Weg wiedergefunden zu Europa und zu den Werten Europas. Deswegen werden, wie ich auch finde, die Nationen weiter eine Rolle in Europa haben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend dieses sagen:
In Europa wird viel gesprochen von Wirtschaft, von Geld, wir haben die gemeinsame Europäische Währung. Mag das Verhältnis mit dem Amerikanischen Dollar auch gegenwärtig ziemlich schwankend sein, zum Nachteil des Euro im Innern der Europäischen Union, ist der Euro stabil. Wir haben eine Stabilitätsgemeinschaft, und das Verhältnis zum Amerikanischen Dollar wird sich dann wieder ändern, wenn die Wirtschaften und die Regierungen, vor allen Dingen in Europa, die Kraft haben, zu wirklichen Reformen innerhalb der Europäischen Union und der Wirtschaftsordnung in diesen Ländern. Aber was Europa vor allen Dingen braucht, das ist eine Seele, dass wir uns auf die fundamentalen Werte Europas wieder besinnen. Und dazu haben wir allen Anlass nach dem Niedergang des Kommunismus. Nicht das Kollektiv, nicht der Mensch in einem Kollektiv, nicht die Masse setzen sich durch in Europa, in der Welt, sondern es ist unser christliches Menschenbild, die Würde des Einzelmenschen. Ich denke, das ist ein großer Wert, der sich durchgesetzt hat, und wir müssen diesen Wert jedes Einzelmenschen viel stärker in das Bewusstsein stellen. Und das Entscheidende ist, neben dieser Seele, neben diesem Wert, dass wir den Frieden in Europa garantieren können. Und das geht, und damit komme ich zu meinem Ausgangspunkt zurück, das geht mit dieser neuen Methode, von der eben die Rede war. Wenn im Ministerrat, wenn im Europäischen Parlament die Mehrheit entschieden wird, dann ist das mehr als nur ein demokratischer Mechanismus. In allen Jahrhunderten vor uns hat man viel Streit gehabt und am Ende zu den Waffen gegriffen, weil man es nicht akzeptierte, dass andere sich durchsetzten. Und heute entscheiden wir unsere Konflikte und unsere Interessenunterschiede in der Europäischen Union mit den Mitteln der politischen Abstimmung. Und diese politische Abstimmung wird zum Recht und damit zu Europäischen Gesetzen. Und damit hat die Politik, hat das Abstimmen im Europäischen Parlament im Ministerrat eine friedensstiftende Funktion. Das ist eigentlich das Entscheidende, was wir aus der Erfahrung, aus der Geschichte dieses Jahrhunderts und der Jahrhunderte vorher in Europa in die Zukunft ins 21. Jahrhundert gestaltend mitnehmen müssen. Aber, und damit komme ich zum Schluss, meine sehr verehrten Damen und Herren. Es gibt keine historische Zwangsläufigkeit. Das Bemühen um die Einigung Europas muss sich in unseren Tagen immer wieder erneut in der Zukunft bewähren. Und Europa fällt auch nicht wie eine reife Frucht vom Himmel, sondern in den vielen kleinen Entscheidungen auch im Europäischen Parlament. Auch dadurch, wie man mit den kleinen Ländern umgeht. Und ich sehe mit großer Sorge, wie einige größere Länder, da dieses keine parteiliche Veranstaltung ist, will ich das nicht näher darstellen, wie einige vermeintlich größere Länder auch mit den kleineren umgehen. Ja, man sagt, eine bestimmte Person, die nun mal die Präsidentschaft hat in der Europäischen Union, der Kanzler verhandelt mit den größeren Ländern, der Außenminister mit den kleineren Ländern. Dann ist das so eine Atmosphäre, die nicht diesen Spielregeln gerecht wird. Das heißt, wir müssen Europa in jedem täglichen Bemühen auf dem Weg nach vorne bringen. Und wir werden dieses Ziel, und davon bin ich überzeugt, meine Damen und Herren, dass wir seinem Anspruch, die Bewahrung des Friedens und der Schöpfung, die Geltung der Demokratischen Prinzipien, die Herrschaft des Rechts sowie die Unantastbarkeit der Würde des Menschen und seine unveräußerlichen Menschenrechte vereint erreichen, wenn wir selbst es wollen.
Dass uns dieses gemeinsam gelingen möge, ist mein aufrichtiger Wunsch, für Sie und für uns alle. Im Kern geht es dabei um den Frieden im 21. Jahrhundert.
Ich danke Ihnen sehr für Ihre Geduld.
Anschließende Diskussion
(Wiedergabe ebenfalls nach Bandmitschnitt)
P. Dr. Wilmer:
Herr Prof. Dr. Pöttering, Sie haben uns einen Einblick gegeben in Ihr tägliches Brot, Ihre tägliche Arbeit im Europaparlament als auch uns teilhaben lassen an einer Vision eines zukünftigen Europas. Sie sagten: „Europa brauche eine Seele“. Herzlichen Dank für den lebendigen und anschaulichen Vortrag.
Jetzt ist Gelegenheit zu einem Austausch, zu einer Diskussion. Herr Prof. Dr. Pöttering steht für Fragen aus dem Plenum zur Verfügung. Wir werden die Fragen sammeln und wie gesagt, er wird sie dann beantworten.
Zuhörer:
Sie haben Ihren Vortrag mit der neuen Idee begonnen, die diesem Ganzen vorausgeht, dass es ursprünglich vier, fünf Länder gegeben hat, die in wechselseitigen Allianzen versucht haben, Stabilität zu erreichen und nun in die Bündelung der Interessen hinein das auch erreicht haben. Und das führt eher in der Folge dazu, wie Sie sagten, was wir jetzt haben; Asien, Afrika, Amerika und eben Europa. Und insofern sehe ich die Frage gestellt, ob man nicht am Anfang des Kreises angelangt ist. Muss auch hier wieder eine Vereinheitlichung der Interessen angestrebt werden, um die Mühle fortzusetzen und ob sich damit das Ganze nicht überhebt. Wieweit bleibt dann noch die Subsidiavität erhalten. Hat der Nationalstaat tatsächlich noch Bestand neben der Einheit.
Prof. Dr. Pöttering:
Ja, das ist natürlich eine schwierige Frage, es darf nicht ein neuer Nationalismus entstehen auf der Ebene Europas. Also das heißt praktisch, den Nationalismus, den wir früher in den Einzelländern hatten, dass der jetzt auf die Ebene Europas transponiert wird, das muss verhindert werden. Aber ich sehe auch gute Chancen, das zu verhindern, weil die Europäische Union anders ist als diese fünf Staaten, die ja keine wirklichen demokratischen Staaten waren. Heute ist diese Europäische Union eine demokratische Union. Selbst wenn wir heute noch gewisse Demokratiedefizite auf der Ebene der Europäischen Union haben, aber das werden wir schrittweise durch das Arrangement des Europäischen Parlamentes korrigieren und hoffentlich auch korrigieren können, so dass ich auf der Grundlage der Demokratie in der Europäischen Union diese Gefahr eines Europäischen Nationalismus –wenn Sie das gemeint haben, so habe ich das herausgehört aus Ihrer Frage-, dass wir das verhindern können. Was wir brauchen in der Welt, weil Sie Afrika genannt haben, Afrika war ja in diesem Beispiel von Goloman als ein Beispiel, das man sich Afrika aneignen wollte, was ja dann auch geschehen ist durch die Franzosen, durch die Briten und zum Teil auch durch die Niederländer. Die Niederländer, unsere Nachbarn, waren ja eine Kolonialmacht. Ein bisschen haben wir auch noch getan, die Deutschen im vorigen Jahrhundert. Mit diesen Ländern brauchen wir Kooperation, brauchen wir Zusammenarbeit. Und die Europäische Union hat heute das sogenannte AKP-Abkommen, das ist ein Abkommen mit über 60 Staaten aus dem afrikanischen, karibischen und pazifischen Raum. Und da liegt unsere eigentliche Aufgabe, auch gegenüber Afrika, ein Kontinent, der eher auf der Schattenseite dieser Welt liegt, dass wir durch Kooperation ein Beitrag leisten für die Entwicklung auf diesem Kontinent. Und darum wird das auch gehen müssen bei der WTO, bei den Welthandelsvereinbarungen, und ich glaube, wir können eher noch als die Amerikaner, die da ein anderes Verhalten haben, können wir, die Europäer, auch Anwalt der Länder der Dritten Welt sein. Die Frage nach „Subsidiavität“, das ist eine ständige Frage. Ich habe mal, als ich in einer Veranstaltung in Lathen herausgefordert wurde durch einen Kreispolitiker, der Europa beschimpfte, gesagt: „Und was in Lathen erledigt werden kann, das darf der Landkreis Emsland nicht an sich reißen“. Da bekam ich natürlich einen Mordsapplaus, auch aus der Situation, ich will das aber nicht ironisieren. Es ist eine ständige Aufgabe darüber nachzudenken, was kann auf welcher Ebene gemacht werden. Es wird hier im Landkreis Emsland überlegt, was können die Gemeinden, was können die Städte machen, was muss notwendigerweise der Landkreis machen, wo muss die Kreisumlage sein. Darüber habe ich heute mit einigen Kreispolitikern im Landkreis Osnabrück diskutiert. Also, das geht immer in beide Richtungen. Wir haben hier ja einen Kreistagsabgeordneten hier aus Fürstenau. Als ich das sagte, war mir das gar nicht bewusst, dass wir einen Landkreisabgeordneten hier aus Osnabrück haben. Also, das ist eine ständige Frage „Wer macht was“? Und das ist auch in Amerika so. In Amerika gibt es eine ständige Diskussion „Was sollen die Staaten machen – und was soll die Regierung machen in Washington“? Und diese Diskussion wird es auch immer geben. Und je auch nach parteipolitischer Zugehörigkeit wird die Antwort auf diese Frage auch immer sehr unterschiedlich sein. Aber meine persönliche Position ist auf Grund der Subsidiavität, dass die Aufgaben, wo immer es möglich ist, möglichst nah bei den Menschen bewältigt sein müssen. Und das bedeutet eben für Europa, dass jedes Gesetz, jede Verordnung, jede Richtlinie, die verabschiedet wird, sich auch hinterfragen lassen muss, ob es notwendig ist und ob Europa sich dieses Anliegens annehmen muss.
Zuhörer:
Ist die Komplexität überhaupt noch zu bewältigen. Wenn man allein schon bedenkt, wie viele Sprachen allein schon gesprochen werden, wenn dann noch mehr Länder dazu kommen, man kann sich nicht mal einigen, ich sag‘ mal auf die französische und englische Sprache. Die Deutschen sagen, wir sind groß genug, es soll deutsch gesprochen werden. Aber ich mein‘, ich muss an Babylon denken. Dort, wo die Sprachenprobleme nicht erreicht wurden. Aber man kann es vergleichen, die ganze Steuerreform, die Steuerharmonisierung in den unterschiedlichen Ländern, es gibt völlig unterschiedliche Steuersysteme. Wie stellen Sie sich das vor?
Prof. Dr. Pöttering:
Ja, also zunächst darf ich Ihnen als Niederländer erst einmal ein tolles Kompliment machen wie die Niederländer, und Sie es ganz besonders, sich in Sprachen ausdrücken. Nicht nur in deutsch, dass Sie es 100% verstehen mit einem noch so einen sympathischen Akzent. Sondern die Niederländer sind wirklich diejenigen, das sage ich jetzt nicht, weil Sie jetzt Niederländer sind, sondern die Niederländer sind wirklich in Bezug auf die Sprachen die Besten in Europa.
Ihr früherer Außenminister Lünz hat mal gesagt: „Ja, das Ausland ist so groß, deswegen müssen wir uns als Holländer besonders bemühen“. Deswegen hatten Sie damals sogar zwei Außenminister für kurze Zeit. Also ich finde, dass Sie sagen „Babylon“, da ist natürlich was dran. Aber Sie haben in der Politik nicht die Entscheidung zwischen gut und schlecht, sondern Sie müssen mit der Situation umgehen, die Sie vorfinden. Und deswegen ist die Frage, wenn wir das Beispiel jetzt der Sprachen nehmen, kann das ein Anlass sein, die Sprachenfrage, dass wir jetzt die Länder Mitteleuropas nicht in die Europäische Union aufnehmen? Die Antwort muss ganz klar „Nein“ sein. Man muss versuchen, die praktischen Probleme zu lösen.
Das bedeutet, dass sicher nicht jedes Dokument in allen Sprachen, heute haben wir 11 Sprachen in den 15 Ländern der Europäischen Union, die offizielle Sprachen sind. Englisch gibt es ja auch in Irland, deswegen ist es da einmal weniger eine Sprache, dann Französisch in Belgien und Niederländisch, Flämisch dann auch in Belgien, so dass es einige Sprachen weniger sind. Aber es muss in Zukunft nicht jedes Dokument übersetzt werden. Es gibt jetzt auch mittlerweile Maschinen, die so Dokumente übersetzen. Aber ich habe es neulich einmal versucht. Der Text war so verunstaltet, da haben Sie mehr Mühe das zu korrigieren, als wenn Sie es sich übersetzen lassen. Vielleicht verbessert sich diese technische Apparatur noch. Aber es muss nicht alles übersetzt werden. Es gibt auch irgendwann Grenzen, wo Sie so viele Boxen für jede Sprache rein räumlich im Europäischen Parlament nicht mehr machen können. Man muss sich vielleicht überlegen, dass in einer Kabine mehrere Nationalitäten bedient werden. Aber worauf man schon bestehen muss, dass jeder Abgeordneter sich in jeder Sprache ausdrücken kann. Wir können für Politiker keine Sprachprüfung machen. Dann haben Sie anschließend nur noch Dolmetscher und solche Leute in den Parlamenten. Ich glaube, das geht nicht. Hier muss man Wege gehen, die doch einigermaßen dann auch das Recht des Abgeordneten zum Ausdruck bringen. Aber Sie haben recht. Großes Problem ist natürlich die Sprachenfrage. Aber was das Eigentliche ist, Sie sagen: ist das Ganze dann noch handhabbar? Es ist dann handhabbar, wenn sich alle zu gemeinsamen Spielregeln bekennen. Und diese Spielregel müssen sein, dass die Mehrheit entscheidet, im Europäischen Parlament und im Ministerrat. Deswegen sage ich, muss es in den meisten Fragen der Gesetzgebung die Mehrheitsentscheidung geben. Militäreinsätze können Sie nicht mit Mehrheit entscheiden. Nehmen wir mal an, es gibt wieder ein Beispiel im Kosovo, dann können Sie nicht mit Mehrheitsentscheidung sagen, Iren müssen sich jetzt beteiligen. Das kann man nicht machen. Aber ich möchte es auch nicht, dass die Iren es verhindern können. Das heißt, wer sich nicht beteiligen will, der soll es eben nicht machen. Aber die, die handeln wollen und handeln können, die sollen es tun. Dann auch im Namen der Europäischen Union. Da muss man dann normale Verfahren finden, die das dann ermöglichen. Aber nach dem wir jetzt viel vom Militär gesprochen hatten, und wenn ich das noch sagen darf. Das Wichtigste ist, Kriege zu verhindern. Und deswegen brauchen wir eine sogenannte vorsorgende Sicherheitspolitik, das heißt, wenn wir Krisen erkennen, dass sich daraus wirklich große Konflikte ergeben könnten,
dann müssen wir versuchen, durch politische, durch diplomatische und wirtschaftliche Maßnahmen einen militärischen Konflikt zu verhindern. Deswegen muss Europa eine Friedensverantwortung auch außen wahrnehmen, um möglichst zu erreichen, dass es gar nicht zum Einsatz von Waffen kommt, das ist immer die Ultima Ratio, das ist immer das letzte Mittel. Letzte Bemerkung dazu, weil Sie von Babylon sprechen, das ist so der negative Aspekt der ganzen Entwicklung. Wenn wir aber den positiven Aspekt nehmen, dass es in unserer Lebenszeit möglich war, dass die Menschen in der Mitte und im Osten Europas ihre Freiheit wieder bekommen haben und dass es jetzt doch eine große gestaltende Aufgabe ist, die Architektur Europas aufgrund des sich Durchsetzen der Demokratie und der Freiheit dieses zu gestalten, dann geben Sie der ganzen Entwicklung einen positiven Akzent, und ich finde, wir sollten doch die Dinge mit Zuversicht angehen, mit Optimismus. Das ist alles nicht leicht, was ist schon in diesem Leben leicht. Aber wir haben eine großartige Chance, dass wir es schaffen. Und wenn wir die Situation von vor 15, 20 Jahren hätten, mit der Mauer in Berlin, mit dem geteilten Europa, mit der Bedrohung durch die Nuklearwaffen. Ich glaube wenn wir das vergleichen mit der gegenwärtigen Situation, haben wir allen Anlass, für die Entwicklung sehr dankbar zu sein.
Zuhörer:
Herr Prof. Pöttering, Sie haben sich eindeutig gegen die Aufnahme der Türkei in die Europäische Union ausgesprochen. Es ist ja ganz sicher, dass der Fundamentalismus eine große Gefahr darstellt für Europa Und zwar eine zunehmende Gefahr. Die Türkei ist ein sehr gemäßigter islamischer Staat Ist es nicht sehr wichtig, diesen gemäßigten Staat möglichst bald in die Europäische Union einzubinden. Hinzu kommt, dass die Amerikaner, und meiner Meinung nach, auch die Briten starken Druck auf uns ausüben, die Türkei möglichst bald in die Europäische Gemeinschaft aufzunehmen. Wie ist Ihre Meinung dazu?
Prof. Dr. Pöttering:
Ja, ich bin Ihnen sehr dankbar für diese Bemerkung, weil sie deutlich macht, dass man dieses Problem von zwei Seiten sehen kann. Ich bin mit Ihnen absolut der Meinung, dass wir sehr gute, sowohl auf politischer wie auf wirtschaftlicher Ebene, Beziehungen zur Türkei brauchen. Und das die Türkei auch eine europäische Orientierung braucht. Aber ich teile nicht die Meinung, dass man …
(Neue Aufnahmen, anderes Band)
…und ich sage ausdrücklich nicht: ein religiöser Grund. Ich möchte es nicht auf die Frage Islam/Christentum reduzieren. Denn ein in dem Sinne „christliche Gesellschaft“ sind wir ja, leider, auch nicht in Westeuropa. Sondern es geht um die Lebensordnung, die kulturellen Zusammenhänge. Wenn in der Türkei beispielsweise das Kurdenproblem gar nicht als solches
von der offiziellen Staatsführung anerkannt wird, dann zeigt das, dass man ein unterschiedliches Denken hat im Bezug auf das kulturelle Denken in der Europäischen Union.
Die Europäische Union besteht darauf. Z.B. was den Beitritt der Slowakei angeht, was den Beitritt Rumäniens angeht, dass die Ungarn in der Slowakei in Rumänien ihre eigene Identität auch ein Stück leben können im Staatenverband der Slowakei und Rumänien. Denn wenn dieses nicht geschieht, dann kann es Konflikte geben, wenn die Slowakei und Ungarn der Europäischen Union beitreten, weil Ungarn als Staat sich verpflichtet fühlt, für die Ungarn in der Slowakei sich einzusetzen. Das heißt also, wenn da Minderheitenprobleme vorhanden sind, dann werden diese mit einem Beitritt in die Europäische Union hinein getragen. Und das ist mit der Kurdenfrage der Fall. Gegenwärtig gibt es kein wirklich fundamentales Verständnis bei der offiziellen Staatsführung in der Türkei für die Kurdenproblematik. Ich könnte Ihnen ein Beispiel nennen wie ich einmal einem alten Ehepaar aus Kurdistan geholfen habe. – Ich werde das nie vergessen. Ich will die ganze Geschichte nicht erzählen, wie man sie von dem Hof weggebombt hat, durch das türkische Militär, weil sie der PKK, die dort mit Maschinenpistolen gekommen sind und sich Lebensmittel erpresst haben. Weil man denen das gegeben hat, dann hat man diese Leute dann als Kollaborateure der PKK behandelt, und man hat den ganzen Hof kaputt gebombt und diese Leute von dem Hof, diese Familie ist dann durch Europa gewandert und landeten in der Ukraine. Und dann hat dann der Sohn, der in der Nähe meines Wohnortes wohnt, nämlich vor Bad Iburg, in Glandorf, sich an mich gewandt. Und dann habe ich denen dann helfen können, Und Heilig Abend ’93 saß da so ein etwa 80-jähriger Mann bei mir zu Hause auf dem Sofa. Ich hab‘ kein Wort mich mit ihm unterhalten können. Aber er hat mich umarmt, dass ich ihm geholfen hatte, dass er über die Ukraine schließlich zu seinem Sohn und seiner Schwiegertochter nach Glandorf kommen konnte. So, das war so ein Beispiel, an dem man sieht, wie unverhältnismäßig das Türkische Militär handelt. Und das ist jetzt ja die Tragik. Das Militär in der Türkei steht eigentlich an der Seite des Westens. Ist gegen eine fundamentalistische Gesellschaft im islamischen Sinne und verhält sich wieder auf der anderen Seite so unverhältnismäßig, dass es wieder für uns ein Problem ist. Das ist die eine Sache. Dann wissen wir, das heute die fundamentalen Menschenrechte in den Gefängnissen in der Türkei im Sinne der Wahrung der Menschenrechte nicht gewährleistet werden und viele andere Dinge. Deswegen, meine ich, ist heute nicht der Zeitpunkt der Türkei diesen Kandidatenstatus zu geben. Andere sehen das anders. Das ist auch bei mir in der Fraktion sehr unterschiedlich. Ganz unterschiedlich wird das behandelt. Sie haben ja auch von den Briten gesprochen. Auch der französische Staatspräsident Jaques Chirac sieht es so, dass man den Türken jetzt eine Chance geben sollte. Ich sage nicht „Nie“, es wird ja auch in Helsinki wahrscheinlich so sein, dass sie den Kandidatenstatus bekommen, dann ist das eine neue politische Lage, der man entsprechen muss, aber ich halte es gegenwärtig für zu weit gehend, der Türkei diesen Status zu geben. Denn wenn welchem Recht können wir ihn dann der Ukraine und Russland verweigern. Damit kommen wir zu der Frage Babylon zurück. Und dann wird alles noch schwieriger. Und was die USA angeht. Also ich bin ein wirklich guter Freund der USA. War immer von der NATO überzeugt. Und die USA sind unsere Partner. Aber die USA neigen auch dazu, den Europäern Vorschriften zu machen. Und das passt nicht in unsere Zeit, und das ist nicht die Gleichberechtigung. Und das ist nicht Partnerschaft. Und wenn wir den Amerikanern sagen würden, sie sollten die Türkei lieber heute als Morgen in die Europäische Union aufnehmen. Das sollten wir den Amerikanern mal sagen, welche Antwort gibt ihr, wenn wir euch empfehlen Mexiko zu einem 51. Staat der Vereinigten Staaten von Amerika zu machen. Ich glaube, die Amerikanische Regierung und alle Amerikaner würden sich ganz dagegen verwehren. Und deswegen brauchen wir in diesem Fall auch keine Belehrungen aus Washington. Sondern wir müssen unsere Entscheidungen selber treffen, nach freiem Wissen und Gewissen und das ist schon unter Europäern schwierig genug. Aber das ist unsere Entscheidung. Die kann uns auch keiner abnehmen. Letzte Bemerkung noch.
Wie sich die Fronten gewandelt haben. In der Mitte der 90-er Jahre ging es um die Zollunion mit der Türkei. Wir, unsere Fraktion, waren sehr dafür, die Zollunion abzuschließen und hatten genau das gleiche Argument und haben gesagt, dass wir die Zollunion abschließen müssen, die Türken wollen das auch in unserem Interesse, und damit widerstehen wir dem Fundamentalismus. Da war die Zollunion, der Vertrag gerade ratifiziert, das Europäische Parlament muss zustimmen, sonst läuft das nicht. Und dann dauert es ein paar Monate. Herr Erbacan, der damalige Vorsitzende der Islamischen Partei, war in der Regierung. Also geholfen hat es damals nicht entscheidend. Es bleibt abzuwarten, wie die Entwicklung in der Türkei sich vollzieht, wenn sie den Kandidatenstatus, was ich erwarte, in Helsinki jetzt bekommen. Hoffentlich geht es in die Richtung, die wir wünschen. Aber bis zu einem Beitritt wird noch sehr, sehr viel lange Zeit vergehen. Und das Europäische Parlament, das sage ich Ihnen für mich persönlich und für den größten Teil unserer Fraktion, wir werden darauf bestehen, ich meine, wir werden das wahrscheinlich gar nicht mehr erleben, solange kann man auch nicht Abgeordneter sein, bis das zur Entscheidung kommt -, aber das auch wirklich die Spielregeln, die eingehalten werden müssen für einen Beitritt, es gibt sogenannte Kopenhagener Kriterien, die Menschenrechte, Demokratie, vernünftiger Verwaltungsaufbau, rechtsstaatliche Ordnung, dass das Punkt für Punkt erfüllt sein muss, ehe man in unsere Wertegemeinschaft eintreten kann.
Zuhörer:
Ich möchte gerne das Stichwort „Türkei“ noch einmal aufnehmen. Und zwar im Zusammenhang mit dem Tempo der weiteren Expansion der Europäischen Gemeinschaft.
Ich befürchte, dass die Expansion zu schnell voran schreitet, weil, ich sehe, eine Europäische Union kommt auf uns zu, die in erster Linie durch Technokraten, Bürokraten bestimmt ist, die aber ihr Leben, ihre Seele erst durch die Menschheit bekommt. Als Beispiel für ein funktionierendes Nebeneinander möchte ich das Verhältnis zwischen Franzosen und Deutschen nennen. Es hat ja fast 50 Jahre gedauert, ehe aus Erbfeinden Nachbarn wurden, die heute problemlos, ohne den Schatten der Vergangenheit miteinander leben. Wenn wir andere Nachbarn nehmen, z.B. Österreich, z.B. Niederlande, sehr stark Finnland, da gibt es ja noch erhebliche Vorbehalte. Ich kann jetzt nicht beurteilen, worauf das zurückzuführen ist, was zu dieser Erblast geführt hat. Oder positiv gesprochen, wieso es mit Frankreich sehr viel besser gelaufen ist. Liegt es daran, dass dieses Verhältnis sehr lange durch die Politik begleitet worden ist, in dem man, ja auch mit einem finanziellen Aufwand für einen Jugendaustausch gesorgt hat, um auf diese Art und Weise zu einem besseren Verständnis zu kommen?. Das positive Verhältnis, das vermisse ich noch bei vielen Ländern, die jetzt schon Bestand der Europäischen Union sind, und ich befürchte, es wird noch schwieriger, wenn dann noch mehr Länder hinzu kommen, die noch weiter sind und vielleicht vom Charakter der Menschen noch weiter entfernt sind.
Prof. Dr. Pöttering:
Ja, das was Sie sagen, da ist viel Wahres dran, aber es ist auch viel dran, was nicht ganz, wenn Sie gestatten, so der Realität entspricht. Wir sind ja eine pluralistische Gesellschaft. Und wir haben ja gerade in Großbritannien, das Sie ja nannten, Sie sprachen von England, ja eine Medienlandschaft, die sehr auf Populismus ausgelegt ist. Und einige Zeitungen, die nicht mal im Besitz von Engländern sind, die in Skandalen und in eine immer größere Kritik auch gegenüber anderen sich darstellen. Das ist in einer pluralistischen Gesellschaft so, und man darf das nicht als „für das ganze Geld“ so hinnehmen. Es hat, als es am Anfang des Jahres eine massive Kritik gegeben hat an Deutschland in Großbritannien in der Presse, eine Umfrage bei der Bevölkerung gegeben, die war sehr viel positiver. Und das Erstaunliche, die Menschen sind ja heute viel schlauer und viel einsichtiger als vielfach angenommen wird. Und was nun Frankreich angeht, so muss man sagen, Frankreich war nun unser, wie man sagte, Erbfeind, dass heißt, unser Wunsch mit den Franzosen klar zu kommen, der war vorrangig und deswegen war es ja auch so wichtig, dass diese Initiativen damals auch aus Frankreich kamen, durch Jean Monnet und Robert Schumann. Und das ist ganz wichtig, dass es auch jetzt in Berlin -und das wir da nicht eine Anmaßung haben als Deutsche-, dass wir jetzt, das Deutschland und Frankreich weiter gut miteinander klar kommen. Und das ist auch eine Forderung, die man an die Regierung stellen muss. Das darf nicht nach Lust und Laune gehen, ob einem das passt oder nicht, sondern ein Bundeskanzler und ein französischer Staatspräsident, ein französischer Ministerpräsident haben die Pflicht, etwas für das deutsch-französische Verhältnis zu tun. Und es ist unverantwortlich -aber dann würde ich ja schon wieder parteipolitisch, wenn ich jetzt Details sage- wenn gewisse Leute sagen, ja, die Agrarpolitik Frankreichs interessiert mich nicht, in Deutschland wählen mich die Leute nicht. Das ist unverantwortlich, weil es die Interessen eines Landes außer acht lässt, wenn man die Interessen eines anderen Landes außer acht lässt, dann spüren die Menschen das. Und dann schafft das Gegnerschaften und deswegen ist es die Pflicht, dass Leute in Paris und in Berlin, dass sie aufeinander zugehen. Ja, und das war das Großartige, dass dieses in der Vergangenheit zwischen Helmut Schmidt und Giscar d´ Estaine, die haben sich prima verstanden, zwischen Konrad Adenauer und Charles de Gole, die haben sich prima verstanden und der Sozialist Franzoise Mitterand und Helmut Kohl, die haben sich besonders gut verstanden. Und so muss es auch sein. Und das eine Forderung, die man an die politischen Führungen haben muss. Es hat sich alles gut entwickelt, aber ich sage auch, nichts ist ewig von Bestand. Und ich vergesse nie, wie am 01. Mai 1998, es war ein Samstag, die einzige Sitzung, die wir als Europäisches Parlament samstags gehabt haben, in Brüssel, Freitags haben die Finanzminister getagt, Samstag morgens das Europäische Parlament und am Samstagnachmittag des 01. Mai kamen die Staats- und Regierungschefs zusammen. Es ging um die Währungsunion. Ich vergesse nie, wie der Führer der Rechtsextremisten aus Frankreich, Le Pen, im Europäischen Parlament, diese Leute schreien dann ja auch immer so, die Europäische Währungsunion bezeichnet hat als eine zweite große Niederlage, 1870, die Preußen haben die Franzosen besiegt. Und er bezeichnete die Europäische Währungsunion als eine weitere Niederlage Frankreichs. Und damit machen diese Leute Politik. Und bei uns haben auch Leute gesagt, das ist jetzt das deutsche Zugeständnis gegenüber den Franzosen. Aber wenn beide Extreme das so sagen, dann kann das ja wohl nicht stimmen. Aber das ist jetzt nur ein Beispiel, ich will da jetzt nicht noch einmal eine Diskussion anregen über die Währungsunion, das ist nicht mein Punkt. Sondern ich will nur sagen, dass man Emotionen immer wieder schüren kann. Und es nie etwas für ewig gültig ist. Wenn einmal Freundschaften da sind. Freundschaften können auch zerbrechen, man muss ständig sich darum mühen. Wenn Sie mir gestatten das zu sagen, in meiner Fraktion, ich bin ja ständig wandelnder Vermittlungsausschuss. Sie müssen ständig zusammenführen, aber Sie müssen auch führen, wenn Sie nur zusammenführen, dann reicht das nicht, also Sie müssen auch führen, aber Sie müssen so führen, dass sie niemanden verletzen. Sie können auch nicht immer „Ja“ sagen. Aber wenn Sie jemandem „Nein“ sagen in der Fraktion, und es kommt jemand zu Ihnen ins Arbeitszimmer, und ich sage immer, jeder kann mit dem Fraktionsvorsitzenden sprechen. Aber Sie können nicht immer „Ja“ sagen. Sie müssen natürlich so „Nein“ sagen, dass der Gesprächspartner das auch akzeptiert und auch akzeptieren kann, man muss es begründen, und man muss es freundschaftlich tun.
Aber ich möchte noch mal, wie Sie Frankreich erwähnt haben, ein Wort zu den Niederlanden sagen. Die Niederlande sind ja ebenso unsere Nachbarn. Und wenn heute Abend hier Niederländer sind, dann ist das doch eine tolle Sache, dass man sich über Europa austauscht. Und ich darf Ihnen sagen, dass auch innerhalb unserer Fraktion die Zusammenarbeit mit den niederländischen Kolleginnen und Kollegen besonders gut ist, und dass sogar eine belgische Kollegin mir vor einigen Tagen sagte: „Ja, für die Niederländer tust du immer alles und für uns, für die Belgier … .“ Aber das stimmt so nicht, der Eindruck war da. Ich finde es ja prima, dass wir hier jetzt über die Grenze auch mit den Niederlanden so enge Kontakte haben. Und hier, das Emsland ist weit weg von Berlin und Overeisel, und Groningen ist weit weg von Den Haag. Also unsere Grenzregion im nationalen Sinne müssen sich zu Binnenregionen entwickeln. Und das wir es jetzt hier und da mit den Niederländern schwer haben, das liegt auch an der Geschichte, die jeder kennt. Aber im Großen und Ganzen geht es doch im Verhältnis: Niederlande / Bundesrepublik Deutschland recht gut.
Wenn ich noch einen Blick abschließend nach Osten werfen darf, so ist mein Eindruck, dass wir zumindest im Westen Deutschlands in der alten Bundesrepublik ein besonderes herzliches Verhältnis entwickeln zu Polen. Wir sagen, zu Polen müssen die Beziehungen so werden wie sie zu Frankreich und den Niederlanden, besonders die zu Frankreich sind schon sind. Dann zeigt das auch die historische Dimension, und ich finde für uns Deutsche ist es ein riesen Geschenk am Ende dieses Jahrhunderts, dass wir erstmalig in unserer Geschichte überhaupt die Chance haben, mit all unseren Nachbarn in Partnerschaft, und vor allen Dingen friedlich und mit den Meisten sogar freundschaftlich, zusammenleben können. Ich finde, mit diesen Erfahrungen ist das am Ende dieses 21. Jahrhunderts ein riesen Geschenk. Aber nehmen wir nichts als garantiert hin. Alles muss wieder jeden Tag und jede Stunde erarbeitet werden. Und man darf nie in der Geschichte etwas für gegeben hinnehmen, sondern man muss immer wieder was dafür tun, damit es so bleibt wie es ist – oder vielleicht noch besser wird.
P. Dr. Wilmer:
Angesichts der Uhrzeit, es ist jetzt zwanzig Minuten vor zehn Uhr, schlage ich vor, dass wir hier einmal einen Schnitt machen in dieser lebendigen Diskussion. Nochmals,. Herr Prof. Dr. Hans-Gert Pöttering, herzlichen Dank für Ihr Kommen, herzlichen Dank für Ihren Vortrag und dafür, dass sie zur Verfügung standen in der Diskussion. Dankeschön!
Ihnen allen einen schönen Abend, kommen Sie gut nach Hause. Auf Wiedersehen!