Finanzexperte greift unangenehme Fragen zur Euro-Krise auf
Ulrich Stockheim, Finanzexperte
„Ein ungutes Gefühl der Ahnungslosigkeit und des Ausgeliefertseins macht sich angesichts der europäischen Staatsschuldenkrise breit.“ Die einführenden Worte von Franz-Josef Hanneken, Schulleiter des Gymnasiums Leoninum, drückten am Montagabend beim 30. Handruper Forum das aus, was wahrscheinlich viele Menschen in Europa empfinden. Gastredner und Finanzexperte Ulrich Stockheim begann seinen Vortrag mit der Schilderung seiner Autofahrt von Düren in das frühlingshafte Emsland: „Man hat den Eindruck, die Welt ist hier noch in Ordnung. Ist das richtig, hier heute mit der Schuldenkrise zu kommen?“ Stockheim tat es dann doch. „Mir geht es darum, die Sachzusammenhänge zu erklären“, begründet er, warum er die unangenehmen Fragen zur Euro-Krise immer wieder aufgreift.
Der Untertitel des Handruper Forums lautete schließlich: „Was uns heute verschwiegen wird – wer die Zeche wirklich zahlt.“ Daher galt es, zunächst einmal ein paar grundsätzliche Fragen zu klären. Was ist der primäre Zweck des Euro?
Primär sei der Euro ein Zahlungsmittel, aber die Politiker wollten mit ihm die Einheit Europas erreichen, sagte Stockheim. Daher würden auch immer pathetische Worte gebraucht, wenn Politiker über den Euro sprächen. Merkel sage: Euro = Europa = Frieden. Dagegen möge doch keiner etwas sagen. Für ihn sei dies vor allem geschickte Rhetorik, um die Menschen zu beschwichtigen, statt die Konstruktionsfehler der europäischen Währungsunion zu beseitigen.
Die Verschuldung macht den Worten des Referenten zufolge etwa 100 Prozent des Bruttosozialproduktes in der Euro-Zone aus. Um die Schuldenquote zu senken, gebe es vier Mittel. Eins: Man könne den Schuldenstand eines Staates senken. Dies passiere quasi nie, und wenn dies geschehe, wie in Griechenland, folge ein massiver Rückgang des Bruttoinlandsproduktes auf den Fuß. Zwei: Ein Schuldenschnitt (teilweiser Schuldenerlass) könne beschlossen werden. Eine äußerst unpopuläre Maßnahme, die daher so gut wie nie ergriffen werde. Drei: Das Bruttoinlandprodukt könne gesteigert werden. Stockheim warnte davor, dies blauäugig zu sehen. „Deutschland ist ein schönes Haus. Doch was nützt dies dem Hausbesitzer, wenn die Nachbarschaft verfällt? Dann ist die Wohnlage schnell unattraktiv, und der Wert des eigenen Hauses sinkt genauso schnell“, versinnbildlichte er, dass die Deutschen im Moment noch auf einer Insel der Seligen leben. Vier: Das Preisniveau müsse steigen. Oder anders gesagt: Der Geldwert müsse sinken.
„Die Inflation ist das beste Mittel für eine Regierung, die Schulden herunterzufahren“, war sich Stockheim sicher. Die Inflation werde kommen. „Das Problem: Keiner will sich damit befassen, weil keiner weiß, was er tun kann“, kritisierte der Experte. Seine Forderungen an die Politik: Vernebelungen sein lassen, die Notenbank an die Kette legen, Schulden nicht mit weiteren Schulden bekämpfen.
Stockheim plädierte abschließend für die Idee eines vereinigten Europa, das mehr sei als nur eine Währungsunion.
(Lingener Tagespost/Ausgabe vom 06. März 2013 / Ressort Lokales)